Die Prophetin vom Rhein
seine
Kleider und ging hinaus, als wäre nichts geschehen. Im Alltag und vor anderen verhielt er sich wie bisher: streng, unnahbar, tief in seinem Glauben versunken. Es war, als ob es sich um zwei verschiedene Männer handelte, die einander nicht einmal kannten. Manchmal dachte Magota, der eine sei lediglich eine verstörende Traumgestalt. Doch wenn sie nach seinen unregelmäßigen Besuchen die verräterischen Flecken auf dem Laken sah und ihr übel zugerichtetes Fleisch kühlen musste, damit es schneller heilte, wusste sie, dass er brutale Realität war.
Allmählich gewöhnte sie sich daran. Und eine Zeit lang bildete sie sich sogar ein, Adrian durch das gemeinsame Geheimnis beherrschen zu können, auch wenn sie nicht genau wusste, wie sie das anstellen sollte. Doch dann kam der Tag, an dem ihr auffiel, dass ihr Mondfluss ausgeblieben war.
Plötzlich schmerzten auch die Brüste, waren empfindlich und hart. Der Gedanke fuhr in sie wie ein Blitz. Es konnte, es durfte nicht sein!
Magota nahm ihre Finger zu Hilfe, rechnete und rechnete. Schließlich ließ sie die Hände erschöpft sinken: An Pfingsten hatte sie zum letzten Mal geblutet.
Was sollte nun aus ihr werden? Alles würde sie verlieren - alles!
Adrian würde sie verachten und nie mehr berühren, ja wahrscheinlich sogar aus dem Haus jagen. Und wenn nicht, dann hatte sie sich in die Hände dieser Theresa zu begeben, ihr beinahe so verhasst wie die Magistra vom Rupertsberg, die sie zu einer Bettlerin gemacht hatte. Nein, diesen Triumph sollte Willems eingebildetes Liebchen nicht auskosten!
Heimlich besorgte sie sich ein Fässchen Rotwein und trank ausgiebig davon, wann immer sich eine Gelegenheit
fand. Sie rannte die Treppen in wilder Hast hinauf und sprang, mehrere Stufen auf einmal nehmend, hinunter. Schließlich bereitete sie sich im Schuppen ein Bad, so glühend heiß, dass sie sich fast die Haut verbrühte.
Nicht ein Tropfen Blut.
Nacht für Nacht wisperte sie ihre Ängste der Grauen ins Ohr, die nach ihrem üblichen Nickerchen in Theresas Kammer regelmäßig bei ihr vorbeischaute. In ihrer Verzweiflung schleppte sie sich schließlich zu dem Ort, den alle in der Gemeinde nur flüsternd erwähnten, wenn sie den Namen überhaupt in den Mund nahmen, denn diese Stätte des Unheils drohte ihr, wenn es wirklich so schlimm kam, wie sie inzwischen befürchtete. Dazu musste sie das Münstertor passieren und auch den Judensand hinter sich lassen. Außerhalb der Stadtmauer, wo dünnes Gestrüpp wuchs und der Wind fast zu allen Jahreszeiten über die unbebaute Fläche fegte, lagen auf einem brach liegenden Acker scheinbar zufällig hingewürfelt einige Gesteinsbrocken. Einem zufälligen Betrachter fiel daran nichts auf, und genauso war es auch gedacht.
Magota aber wusste, dass jeder Stein für ein Kind stand, das, bevor seine Zeit auf Erden überhaupt angebrochen war, hatte sterben müssen, um den Kreislauf des verfluchten Fleisches nicht weiter fortzusetzen. »Friedhof der verlorenen Kinder«, so nannten die guten Christen diesen unheilvollen Ort, der alles in ihr gefrieren ließ, obwohl es ein so warmer, sonniger Tag war.
Sie legte die Hände auf ihren Bauch, als könnte sie damit schützen, was darin wuchs. Die Vorstellung, dieses keimende Leben zu zerstören, wie das Gebot der Gemeinde es forderte, erschien ihr plötzlich unmöglich. Sie sank auf die Knie und sprach inbrünstig das Vaterunser, wieder und immer wieder.
Es dauerte, bis sie sich kräftig genug für die Rückkehr fühlte. Und auch dann musste sie einige Unterbrechungen einlegen, weil die Beine ihr den Dienst zu versagen drohten. Scheinbar zufällig führte der Weg, den sie eingeschlagen hatte, am Hohen Dom vorbei, und obwohl dies den guten Christen strengstens verboten war, öffnete sie die schwere Bronzetür und betrat mit einem Seufzer das Gotteshaus.
Es erschien ihr riesig und so hoch, dass sie sich zunächst noch verlorener vorkam. Doch schenkte ihr nach einer Weile das große Kruzifix vorn am Altar ein unerwartetes Gefühl von Schutz und Geborgenheit, für das sie sich eigentlich hätte schämen müssen. In einer kleinen Nebenkapelle, die leer war, warf sie sich vor der schlichten Holzstatue, die Maria mit dem Jesuskind darstellte, bäuchlings auf den Boden.
Gegrüßet seist du, Maria, voll der Gnade; der Herr ist mit dir …, betete sie stumm. Plötzlich waren sie wieder da, die altvertrauten Worte des Ave Maria, die sie früher mehrmals täglich in der Kapelle auf dem Rupertsberg
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