Die Prophetin vom Rhein
des Heiligen Geistes, wie viele Euch zu Recht nennen!«
»Euch scheint das einfache Leben zwischen Klostermauern aber auch bestens zu bekommen«, erwiderte Hildegard. »Wenngleich Ihr mehr essen solltet. Der Körper braucht Kraft, um dem Höchsten zu dienen. Macht also nicht jedes strenge Fasten mit, das tut Euch nicht gut!«
Gertruds schmale Hände flatterten wie aufgeregte Vögelchen. »In ganz Bamberg spricht man von Euch, und die Kunde Eurer Predigten ist bis zu uns heraufgedrungen. Die Prophetin vom Rhein, die öffentlich auftritt und an vielen Orten zu den Menschen spricht! So etwas hat es noch nie zuvor gegeben.«
Hildegard ließ sich auf einen harten Stuhl sinken. Plötzlich spürte sie, wie müde sie war.
»Ich hatte keine andere Wahl«, sagte sie. »Denn das
Heer der Glaubensfeinde wächst von Tag zu Tag. Eine ganze Weile hatte ich gehofft, Arnold von Selenhofen wäre der tapfere Ritter, der mit seinem geistlichen Schwert diesen Drachen mutig tötet. Doch es scheint, als hätte ich mich getäuscht.«
»Er hat meinem verstorbenen Mann große Schwierigkeiten bereitet«, sagte Gertrud. »Wenngleich mein Hermann zu Lebzeiten kaum eine Sünde ausgelassen hat. Gegen Ende seiner Tage ist er freilich fromm geworden. Ich hab meinen Frieden mit ihm gemacht, ihn bestattet und folge ihm nun auf dem geistlichen Weg, das macht mich froh.« Sie zog sich einen Stuhl heran und setzte sich neben die Magistra. »Weshalb hadert Ihr mit Arnold?«, fragte sie. »Denn das tut Ihr doch.«
»Der Erzbischof könnte ein Exempel statuieren, aber was unternimmt er?«, rief die Magistra aufgebracht. »Nichts! Namen und Versammlungsorte der guten Christen in Mainz sind längst aufgedeckt. Ebenso das, wozu sie sich geradezu aufsässig bekennen. Wieso macht er ihnen nicht den Prozess? Soll diese anmaßende Gotteslästerung direkt vor seinen Augen denn niemals ein Ende finden?«
»Verhält es sich nicht so, dass einige Verschwörer ihn nach seiner Rückkehr vom Italienfeldzug nicht mehr zurück in seine Stadt lassen wollten?«
Für eine weltabgewandte Zisterzienserin war die frühere Pfalzgräfin bemerkenswert gut unterrichtet. Darauf hatte die Magistra gehofft. Deshalb war sie heute Abend hier.
»Der Erzbischof musste all diesen Männern die Exkommunikation androhen«, sagte Hildegard. »Erst dann waren sie zum Einlenken bereit.«
Für sie stand fest, dass für den Aufstand nur einer verantwortlich sein konnte: Kanonikus Dudo. Wahrscheinlich war er es auch gewesen, der allen anderen voran die
Mainzer Bürger dazu aufgewiegelt hatte, ihrem Stadtherrn die Heeressteuer für den Kaiser zu verweigern. Doch bevor sie keine schlagkräftigen Beweise in der Hand hielt, würde diesbezüglich nicht ein Wort über ihre Lippen kommen.
»Da habt Ihr doch Eure Antwort, hochwürdige Mutter!« Gertrud schien plötzlich zu frösteln. Nicht einmal dieses Haus war geheizt, und obwohl die Sonne täglich mehr Kraft bekam, waren die Abende und Nächte noch immer empfindlich kühl. »Das alles muss Arnold bewältigen, wenn der Bischofsring weiterhin an seiner Hand funkeln soll. Denn der Kaiser, der mit seinem Heer in Italien liegt, duldet während seiner Abwesenheit keinerlei Unruhen im Reich. Das weiß ich aus sicherer Quelle. Mit jedem, der dagegen verstößt, wird der Staufer hart ins Gericht gehen. Da bleibt es dann gewiss nicht beim Hundetragen.«
Sie lächelte und hatte plötzlich wieder das Gesicht der jungen Frau, die vor langen Jahren so zuversichtlich in ihre Ehe gegangen war, ohne zu ahnen, was sie erwarten würde.
»Immerhin hat er Eure Urkunde ausstellen lassen«, setzte sie hinzu. »Damit ist der Rupertsberg endlich unabhängig - wie lange und hart musstet Ihr dafür kämpfen!«
Gab es denn nichts, was Gertrud nicht wusste? Hildegard starrte sie neugierig an, doch die feinen, kaum gealterten Züge blieben freundlich und glatt.
»Jetzt untersteht das Kloster keinem männlichen Abt mehr, der die frommen Schwestern weiterhin bevormunden könnte«, erwiderte die Magistra schließlich und wog dabei jedes Wort ab. »Es kann seine eigene Äbtissin wählen und ist unmittelbar dem Erzbischof von Mainz unterstellt. Deshalb ist es so entscheidend für den Rupertsberg, welcher Mann dieses Amt innehat - und wie lange.«
»Ihr rechnet mit einem Wechsel?« Für einen Moment
hörte es sich so an, als sei Gertrud diese Vorstellung äußerst angenehm.
»Ein solcher ist möglich«, sagte Hildegard ausweichend. »Aber darum geht es jetzt nicht. Diese
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