Die Prophetin vom Rhein
Doch wie soll ich ihn nur davon überzeugen?«
Theresa wurde ganz flau bei diesen Worten. Unauffällig lockerte sie ihren Gürtel. Das Kleine schien schon länger keine Lust mehr zu haben, sich weiterhin zu verstecken. Ihr Bauch wuchs von Tag zu Tag. Was sollte nur werden, wenn herauskam, dass sie keine fertig ausgebildete Wehmutter war?
In Köln kennt dich niemand, versuchte sie den Aufruhr in ihrem Inneren zu beruhigen. Bis auf Adrian und Magota, setzte eine höhnische Stimme hinzu. Welche Genugtuung es für sie doch wäre, dich hinzuhängen!
»Wie geht es dir?«, fragte sie laut, weil das verweinte Gesicht und die müden Augen Jonatas ihr ganz und gar nicht gefielen.
»Wie soll es mir schon gehen? Manchmal ist es um mich herum so schwarz, dass ich kaum noch atmen kann. Und wenn ich dann Hermann poltern und wüten höre, wird es noch schlimmer. Die ganze Zeit über fühle ich mich so schuldig, das ist am schlimmsten. Als hätte ich einen großen Fehler begangen.«
»Du hast alles ganz richtig gemacht«, sagte Theresa und berührte kurz Jonatas feuchte Wange. »Und du bist nicht allein.« Sie rief das kleine Mädchen herein, das verschüchtert mit einem Lumpenball vor der Tür gespielt hatte. »Du hast ein Kind, Jonata, das dich braucht und liebt. Vergiss mir das bitte nicht!«
Schweren Herzens trat sie den Heimweg an, erleichtert, dass ihr unterwegs nur wenige Passanten begegneten. Willem würde bestimmt noch eine ganze Weile auf sich warten lassen; er verbrachte jetzt die meiste Zeit in Adrians neuem Kontor, wo sie über Zahlenreihen und Plänen brüteten, um den Pelzhandel weiter in Schwung zu bringen.
Doch zu ihrer Überraschung war er bereits zu Hause.
»Marlein war gerade hier«, rief er. »Mit alles anderen als guten Nachrichten.«
Theresa legte ihr Tuch ab, stellte den Einkaufskorb beiseite und ging in die Küche. Dort stand eine Schüssel mit Linsen, die fertig gelesen werden mussten.
»Ich hab dich doch gewarnt!«, rief er ihr hinterher. »Immer wieder. Aber du wolltest ja nicht auf mich hören. Sie sind alle gegen dich, Theresa, weil ein Säugling gestorben ist, den du entbunden hast. Warum musstest du so weit gehen? Hättest du nicht klüger sein können?«
Ganz langsam drehte sie sich zu ihm um. Ihre Augen
waren dunkler als sonst, ein Zeichen, das ihn eigentlich hätte warnen müssen.
»Klüger?«, wiederholte sie gedehnt. »Weißt du, was geschieht, wenn ein Kind im Leib der Mutter abstirbt, noch bevor es geboren wird? Es zersetzt sich wie jeder Leichnam und vergiftet sie nach und nach, bis sie elend zugrunde geht. Ich musste Jonata helfen. Das gehört dazu, wenn man eine Wehmutter ist.«
»Warum hörst du damit nicht endlich auf?«, rief er. »All dieses Fleisch, das auf die Erde drängt, all dieser Kummer und Schmerz, den es immer wieder verursacht. Ich bin dessen müde, Theresa, so unendlich müde!«
»Dafür hast du dir allerdings einen denkbar schlechten Augenblick ausgesucht, Willem van Gent.« Ihre Stimme war kalt, während sie den Gürtel löste, den sie zuvor eilig enger gezogen hatte. Als hätte das Kleine in ihrem Leib plötzlich die Erlaubnis dazu erhalten, wölbte es sich stärker heraus. Jetzt sah man, dass Theresa schwanger war. Keine List der Welt hätte dies länger verbergen können.
Willems Blick wurde ungläubig, als er auf ihren Bauch fiel, dann begann er den Kopf zu schütteln, konnte gar nicht mehr damit aufhören.
»Doch, es ist wahr«, sagte Theresa. »Glaub es ruhig, Willem! Ich trage dein Kind. Unser Kind.«
Zehn
KÖLN - MAI 1163
Wehmütig dachte Theresa an den großen Metallspiegel auf der Ortenburg zurück, vor dem Ada sich in ihrem roten Prachtkleid stets gedreht und gewendet hatte, wenn ein Fest bevorstand. Welch hilfreiche Dienste er ihr jetzt hätte leisten können! Dann allerdings fiel ihr wieder ein, was Meline gesagt hatte: Keine Schwangere darf in einen Spiegel schauen, sonst sieht sie in ihr offenes Grab.
»Wir beide halten ohnehin nichts von diesem Aberglauben«, flüsterte sie dem Kleinen zu, während sie sich ein breites Stoffstück so fest wie möglich um den Bauch band, um ihn einigermaßen zu kaschieren. »Es muss leider sein, aber nur noch dieses eine Mal!«
Sie ließ Unterkleid und Kleid darüberfallen und schaute von oben an sich hinab. Es konnte einigermaßen so durchgehen, wenngleich einem aufmerksamen Betrachter ihre Schwangerschaft trotzdem auffallen würde. Die Brüste waren voller geworden und schmerzten, sobald ein steifer
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