Die Prophetin vom Rhein
niemandem verderben. »Ebenso wie die Fürsten des Reiches«, fuhr Friedrich fort. »Nach all den kriegerischen Anstrengungen und Entbehrungen der vergangenen Jahre wäre es bitter, auf einen Thronfolger verzichten zu müssen, der einmal das weiterführt, was der Vater in Gang gesetzt hat. Der Preis, den wir zu entrichten hatten und haben, ist hoch genug. Das betrifft nicht nur mich und die Herzöge, sondern auch all unsere anderen tapferen Krieger.«
Er zögerte, schien zu überlegen und trank erst einen Schluck Wein, bevor er weiterfuhr.
»Man sagt, das Lebendige Licht enthülle Euch manchmal Dinge, die noch ungeschehen sind und weit in der Zukunft liegen. Hat es Euch schon einmal etwas über mich offenbart?«
Jetzt kam es wieder auf jedes Wort an, das sie preisgab. Hugo hatte sie angefleht, so diplomatisch wie möglich zu
sein, trotzdem hätte Hildegard gern in aller Offenheit gesprochen.
»Die Nachrichten aus Mainz haben mich äußerst bestürzt«, sagte sie. »Natürlich haben die Mörder Arnolds ihre gerechte Strafe verdient, doch menschliches Unglück und Leid stimmen mich immer sehr traurig.«
»Ihr weicht meiner Frage aus, hochwürdige Mutter!« Der Kaiser hatte den Fasanenschenkel sinken lassen und starrte sie zwingend an. »Von der Prophetin vom Rhein hätte ich anderes erwartet.«
»Ihr sollt die Wahrheit hören.« Ihre Stimme war sehr ruhig. »Ja, es gab tatsächlich eine Schau, in der das Lebendige Licht mir Euch gezeigt hat. Da wart Ihr ein wenig wie ein unbesonnenes Kind, das wild nach allen Seiten schlägt, um seinen Willen um jeden Preis durchzusetzen. Ihr habt den Menschen und Städten diesseits und jenseits der Alpen Eure Macht und Stärke eindrucksvoll bewiesen. Wäre es jetzt nicht an der Zeit, sie auch einmal Eure Milde spüren zu lassen?«
Friedrich wirkte plötzlich nachdenklich, und auch Beatrix’ fröhliche Miene war ernst geworden.
»Denn alle Macht und Herrschaft beruhen auf Gott allein«, fuhr Hildegard fort. »Ihm gemäß müssen die Völker zurechtgewiesen und beurteilt, und es müssen ihnen die Wege der Gerechtigkeit aufgezeigt werden. Wer es aber verachtet, so zu handeln, wird demgemäß vom himmlischen Richter gerichtet. Gib acht darauf, König, so zu sein, dass die Gnade Gottes in dir nicht versiegt!«
Mit geschlossenen Augen sank sie in sich zusammen, plötzlich äußerst matt und erschöpft.
»Ihr habt Euch zu sehr verausgabt, geliebte Mutter!«, rief Beatrix erschrocken, während der Kaiser nach Hildegards Ausführungen eher ein wenig säuerlich dreinschaute.
»Bitte kommt wieder zu Euch und stärkt Euch geschwind! Soll ich einen Medicus rufen lassen …«
Hildegard wehrte ab.
»Es wird gleich wieder vorbei sein«, sagte sie. »Nur noch ein paar Augenblicke! Das Lebendige Licht kennt weder Ruhe noch Schonung. Wer wüsste das nicht besser als ich?«
Doch auch nachdem sie sich vom Herrscherpaar verabschiedet hatte und hinaus in die warme Nachmittagssonne getreten war, wo Bruder Volmar für den Nachhauseritt schon auf sie wartete, blieb ihr Gang noch immer unsicher. Sie reichte Volmar die Urkunde, die ein Strahlen auf seinem Gesicht hervorrief und die er dann sorgfältig zwischen dicken Schweinslederfolianten verwahrte.
»Sollen wir vielleicht zunächst ein Stück zu Fuß gehen?«, schlug er vor. »Dann kann dein Körper langsam wieder zu Kräften kommen.«
»Du klingst, als hättest du gerade deine Lehre bei Benigna abgeschlossen«, sagte Hildegard scherzend. Doch sie folgte seinem Vorschlag und ließ zu, dass er den Weißen und seine Stute am Halfter führte, während er neben ihr herging.
»Bist du jetzt zufrieden?«, fragte er nach einer Weile. »Jetzt, nachdem alle deine Wünsche in Erfüllung gegangen sind?«
»Was das Kloster und die Schwestern betrifft - natürlich. Aber es gibt so viele andere Dinge, die mich bedrücken. Zufriedenheit? Das ist ein Wort, das mir leider sehr fremd ist …«
Zwei Reiter kamen ihnen entgegengaloppiert. Bei ihrem Anblick war Hildegard plötzlich mitten auf dem Weg stehen geblieben.
»Gero«, flüsterte sie. »Gero von Ortenburg.«
Der junge Ritter, der sie ebenfalls sofort erkannt hatte,
stieg ab; der dunkelhaarige, ein wenig ältere Gefährte an seiner Seite tat es ihm nach.
»Wie ist es dir ergangen?«, rief Hildegard. »Du hast deine Schwester befreit …«
Ein Schatten legte sich auf Geros Gesicht. »Sie kommt nicht los von jenen Teufelsanbetern«, sagte er. »Dabei hab ich alles versucht. Aber woher wisst Ihr
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