Die Prophetin vom Rhein
das?«
»Ich habe Theresa gesehen«, sagte Hildegard. »In Trier. Erst vor wenigen Monaten. Und es ist leider genau so, wie du sagst. Ich habe deiner Schwester die Hand gereicht und sie zur Umkehr beschworen. Aber sie hat mein Angebot ausgeschlagen.«
»Sie taumelt ihrem eigenen Untergang entgegen. Wie kann sie nur so blind und vernagelt sein!«, rief Gero. »Ich verfluche den Tag, an dem wir jenen beiden Flamen auf der Rheinfähre begegnet sind, die uns zu Eurem Kloster übergesetzt hat. Wahrscheinlich hat Willem schon damals das Gift in ihr junges Herz geträufelt.«
»Ich werde nicht ablassen, diese Ketzer zu verfolgen«, sagte Hildegard. »Binnen Kurzem breche ich auf zu einer neuen Predigtreise, die mich in viele Städte am Rhein führen wird. Dompropst Dudo hat mich ersucht, auch in Köln die Menschen vor der gefährlichen Irrlehre der guten Christen zu warnen …«
Der junge Ritter war aschfahl geworden, und auch sein Begleiter wirkte plötzlich blasser.
»Dudo? Etwa jener Kanonikus aus Mainz?«, rief Gero, und es schien, als würde er die Worte nur mühsam über seine Lippen bringen. »Der ehemalige Sekretär des toten Erzbischofs?«
Hildegard nickte. »Du kennst ihn?«, fragte sie.
Die beiden Männer tauschten einen langen Blick.
»Dreimal bin ich ihm bereits begegnet«, erwiderte Gero.
»Und hatte doch niemals Anlass, ihn sonderlich zu schätzen.«
Für einen Augenblick schien es, als wolle die Magistra etwas darauf erwidern, aber dann blieb sie doch stumm. Nur ihr Blick, der auf Gero ruhte, hatte sich verändert, als sähe sie ihn plötzlich mit anderen Augen.
»Wann genau werdet Ihr in Köln sein, hochwürdige Mutter?«, fragte Geros Begleiter.
»Zum Pfingstfest«, erwiderte Hildegard, erstaunt über seine präzise Frage. »Und möge der Heilige Geist in mich fahren, damit meine Zunge in Flammen spricht!«
KÖLN - APRIL 1163
Die Ketzer hatten sich geweigert, Schutzgeld zu bezahlen. Dahinter konnte nur einer stecken: Adrian van Gent. Dass er in Köln untergeschlüpft war, hatte Dudo schon länger vermutet; nun aber hatte er endlich Gewissheit. Verschafft hatte sie ihm Clewin, der blutjunge Domkantor der Stadt, den er sich seit seiner Amtsübernahme zum Adlatus herangezogen hatte, nachdem ihm dessen ungewöhnliche Fähigkeiten aufgefallen waren.
Äußerlich hätte man die beiden für Vater und Sohn halten können, so ähnlich waren sie sich: schlank, mit wachen Fuchsgesichtern und einer Körperhaltung, die immer schien, als wären sie halb auf dem Sprung. Wie Dudo entstammte auch Clewin nur einer Ministerialenfamilie, was er durch Fleiß, Klugheit und nimmermüde Anstrengung wettzumachen versuchte. Altersmäßig trennten sie fast zwanzig Jahre, sodass der Jüngere alles, was Dudo von sich gab, begierig in sich aufsog.
»Wir müssen klug vorgehen«, sagte Dudo, nachdem er die Neuigkeit erfahren hatte. »Denn der Teufel ist mit diesen Leuten, und das verleiht ihnen eine gewisse Stärke. Niemals kann man sich bei ihnen vollkommen sicher sein, auch wenn man glaubt, sie schon im Sack zu haben. Erst wenn sie brennen, wird der Spuk endlich vorbei sein.«
Er hatte Clewin eine gereinigte Version der Mainzer Ereignisse geliefert und dabei durchblicken lassen, welch frevelhafte Rolle die guten Christen wohl beim Tod Arnolds gespielt hatten, ohne sie direkt zu beschuldigen.
»Aber warum hat man sie dann nicht verfolgt, ergriffen und hinrichten lassen?«, fuhr der junge Domkantor auf. »Der Tod eines Gottesmannes gehört doch zu den schwersten Verbrechen!«
»Dazu muss man ihrer erst einmal habhaft werden. Sie sind listig wie die Schlangen und verschlagen wie Krötenbrut. Hier in Köln sind sie offenbar über einen längeren Zeitraum um einiges vorsichtiger vorgegangen als damals in Mainz, wo sie mit ihren widerlichen Riten halb öffentlich aufgetrumpft haben. Das allerdings könnte sich bald ändern, jetzt, wo dieser van Gent hier das Ruder übernommen hat, ein Mann, der weder Gottesfurcht kennt noch Scham. An ihn müssen wir uns halten, dann gelangen wir direkt zum Kern des Bösen. Ist er erst einmal unschädlich gemacht, werden auch die anderen wie verfaultes Stroh in sich zusammenfallen.«
Clewin hob erstaunt die rötlichen Brauen. »Das klingt ja beinahe, als würdet Ihr ihn fürchten«, sagte er und schrak zusammen, als Dudo seine Faust auf den Tisch donnern ließ.
»Satan muss man fürchten«, rief er und genoss die Wirkung seines Auftritts auf den jungen Mann. »Und jener Mann ist in meinen
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