Die Prophetin vom Rhein
demütigen Worten und Gesten zu täuschen versucht hatte?
Magotas derbe Züge verschwammen vor den Augen der Magistra und wichen unversehens dem klaren Antlitz Richardis’, vor das sich dann wiederum Theresas Gesicht schob. Glich sie nicht plötzlich wie ein Ei dem anderen ihrer toten Mutter? Es war, als wären sie alle drei eine einzige Gefährtin und innigst geliebte Tochter, die Hildegard für immer verloren hatte.
»Ihr Menschen, die ihr den unverfälschten reinen Glauben habt, schaut auf Gott! Hört auf die Worte der Priester, die Seine Satzungen halten und bewahren. Vertreibt jene Ketzer aus den unseligen Höhlen und Schlupfwinkeln, denn sie wollen euch verführen …«
»Ich kenne eines dieser verfluchten Weiber! Mein Kind hat sie bei der Geburt getötet und meine arme Jonata beinahe mit dazu.« Die Augen des kräftigen Mannes funkelten vor Wut. »Ich bin nur ein einfacher Schmied, doch
den Schwefelgestank der Hölle, der von jenem Weib ausströmt, den hab ich gleich gerochen. Kommt mit mir! Ich weiß, wo sie wohnt - am Heumarkt. Wir knöpfen sie uns vor!«
»Der Geist Gottes spricht«, fuhr Hildegard fort, die ein zunehmend ungutes Gefühl überkam, weil sie mit solch heftigen Reaktionen nicht gerechnet hatte. »Wer diese Meine Worte vernimmt und aus Nachlässigkeit nicht versteht, den wird das Schwert Gottes mit großer Drangsal töten …«
Ein Schrei wie aus einer einzigen Kehle:
»Tötet die Satansbrut! Macht alle mit dem Gottesschwert nieder, die sich gute Christen nennen! Auf zum Markt!«
Der Mob war in Bewegung geraten. Alles schob und trampelte vorwärts, ohne nach rechts oder links zu schauen. Die Magistra konnte sich kaum noch auf den Beinen halten, so stark war der Sog. Allein Benignas kräftige Arme, die sie festhielten, sorgten dafür, dass sie von den anderen nicht mitgerissen wurde wie ein welkes Blatt.
Als Hildegard in das Gesicht ihrer treuen Infirmarin schaute, fand sie es tränennass.
»Jetzt werden sie alle umbringen«, flüsterte Schwester Benigna. »Gott sei unserem armen Mädchen gnädig!«
»Wir müssen sie finden, bevor sie unter die Röcke der Magistra kriechen kann«, rief Adrian. »Die Äbtissin vom Rupertsberg ist in der Stadt, diese Gelegenheit wird ihre ehemalige Tochter nicht ungenutzt verstreichen lassen. Theresa weiß zu viel. Und jetzt, wo auch noch Magota spurlos verschwunden ist …«
»Warum lässt du Theresa nicht endlich in Frieden?«, sagte Willem müde. »Ich habe sie doch schon verloren. Genügt dir das noch immer nicht?«
Das Haus, das er für Theresa und sich mit solch großen Hoffnungen eingerichtet hatte, schien plötzlich entweiht. Der Herd war kalt. Gegenstände, die früher ihre Ordnung gehabt hatten, waren wild durcheinanderverstreut. Etwas Muffiges lag in der Luft. Man spürte, dass seit Tagen niemand mehr hier gewesen war.
»Bist du jetzt ganz von Sinnen?« Adrians Faust fiel polternd auf die Tischplatte. »Taub und blind hat sie dich gemacht, deine Grafentochter, dir Liebe vorgegaukelt, um dich vom rechten Glauben abzubringen. Deinen Onkel im Stich zu lassen, so weit hat sie dich gebracht!«
»Ein Onkel, der in Flammen aufgehen ließ, was mir so sehr am Herzen lag …«
»Was sie getan hat, wiegt um vieles schwerer. Keiner darf sich heimlich bei uns einschleichen und alles kennenlernen, um uns dann bei nächster Gelegenheit zu verraten. Theresa kann uns in Lebensgefahr bringen, hast du daran schon gedacht?«
Die Hände fuhren über sein Gesicht, als müssten sie etwas abwischen.
»Nie wieder ins Loch!«, fuhr er fort. »Diese Zeit voller Angst und Schmerz sitzt mir noch immer tief in den Knochen. Wie mühevoll war unser Neuanfang! Und wäre da nicht das starke Band der Kirche der Liebe gewesen, das uns gehalten und getragen hat, wir wären heute womöglich armselige Bettler, die am Straßenrand die Hand ausstrecken müssen. Also denk gefälligst nach: Wo könnte sie sich verkrochen haben?«
»Ich weiß es nicht.« Willem barg den Kopf in seinen Händen. »Lass mich! Ich kann nicht mehr.«
»Beweg dich und schau nach! Steht das Ross, das ich bezahlt habe, noch im Stall - lebendig?«
Willem gehorchte, wenngleich schwerfällig, und kam bald wieder zurück.
»Der Braune ist da und hat alles, was er braucht«, sagte er. »Wasser und genügend Heu.«
»Dann kann sie noch nicht allzu weit sein.« In Adrians Gesicht zuckte es, so angespannt war er. »Hast du Marlein schon ausgefragt? Vielleicht hat sie ja etwas gesehen.«
»Die weiß
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