Die Prophetin vom Rhein
»Theresa.«
»Sagtet Ihr nicht, Ihr wäret ihr in Trier begegnet?«
Von Freimut, der bislang geschwiegen hatte, kam plötzlich ein seltsamer Laut.
»So war es auch«, erwiderte Hildegard. »Doch das liegt Monate zurück. Inzwischen muss sie nach Köln gelangt sein. Dompropst Dudo hat gesagt, dass sie …«
»Was hat dieser Mann mit Theresa zu tun?«, mischte sich nun Freimut ein, der bei Hildegards Worten blass geworden war.
»Er will den guten Christen den Prozess machen. Nicht nur wegen ihres Irrglaubens, sondern auch weil er sie für die Mörder Arnolds hält. Er hat die Ketzer heimlich beobachten lassen und weiß inzwischen alles über sie: Wie viele sie sind. Wo sie wohnen …«
»Er lügt«, rief Gero. »Der Teufel steckt in ihm, so ist es doch! Dudo hat den Erzbischof von Mainz auf dem Gewissen. Er und kein anderer ist Arnolds Mörder.«
»Woher willst du das wissen?« Die Magistra starrte ihn ungläubig an.
»Weil ich an jenem Abend im Jakobskloster Dudos Messer zwischen Arnolds Rippen gesehen habe. Ein Messer, das ich sehr gut kenne. Und das ich nicht vergessen werde, solange ich lebe.«
»Wo ist Theresa?« Freimuts Stimme zitterte leicht. »Hat Dudo Euch das auch verraten, hochwürdige Mutter?«
»Am Heumarkt. Dort soll sie wohnen. Findet sie - rettet sie!«
»Du bringst die Magistra und ihre Begleiterin in Sicherheit,
Gero!« Unüberhörbar, dass Freimut gewohnt war zu befehlen. »Ich suche inzwischen nach Theresa.«
»Aber wirst du sie denn auch wiedererkennen? Du hast sie doch nur ein einziges Mal gesehen!«
»Das werde ich.« Der Ritter klang grimmig. »Mach dir darüber keine Sorgen! Und jeder, der auch nur den Versuch unternimmt, Hand an sie zu legen, soll mein Schwert zu spüren bekommen.«
In der winzigen fensterlosen Kammer war es inzwischen so heiß geworden, dass Theresa nach Luft schnappte. Längst hatte sie ihr Kleid abgestreift, doch auch das leinene Unterkleid klebte regelrecht am Körper. Zunächst war ihr Neslins Vorschlag, sie bei sich zu verstecken, wie eine himmlische Fügung erschienen. Inzwischen aber fühlte sie sich eher wie eine Maus in der Falle.
Ein Klopfen an der Tür ließ Theresa zusammenschrecken. Neslins fröhliche Stimme jedoch beruhigte sie gleich wieder.
»Ich hab dir verdünnten Hollersaft gebracht«, sagte sie, den schlafenden Säugling mit einem Tuch vor die Brust gebunden. »Sonst verdurstest du mir hier noch!«
Nachdem sie erfahren hatte, dass ihre Wehmutter schwanger und in Not war, hatte Neslin sofort Hilfe angeboten. Und auch Franz, ihr Mann, war damit einverstanden gewesen.
»Ich hab eine Überraschung für dich«, sagte sie. »Ein Kleid, in dem ihr beide auch noch für die nächste Zeit genügend Platz haben werdet. Vielleicht willst du dich zuvor noch waschen? Es ist schon alles vorbereitet!«
Wie gut es tat, das enge Mauseloch endlich verlassen zu können! In der Küche streifte Theresa das Unterkleid ab,
das vom Schweiß schon unangenehm roch, wusch sich von Kopf bis Fuß mit kaltem Wasser und schlüpfte dann in das, was der geschickte Gewandschneider für sie angefertigt hatte: ein neues, weit geschnittenes Unterkleid mit breiten Trägern. Darüber kam eine einfache Cotte in zartem Grün, mit Keilen an beiden Seiten, die für genügend Weite sorgten. Die Ärmel hatten an der Schulter eine Lochreihe, durch die man kleine Bänder fädeln konnte, und ließen sich somit leicht abnehmen.
»Franz hat dem Färber gesagt, er soll frische Birkenblätter verwenden«, sagte Neslin voller Stolz. »Gar nicht so einfach, wenn der Stoff gleichmäßig Farbe annehmen soll. Aber ich hab Franz gesagt, dass das Kleid schön werden muss. Schön für die Frau, die uns so glücklich gemacht hat!«
Theresa und sie tauschten einen raschen Blick. Der Schopf der kleinen Elsa war dank gütiger Fügung dunkel wie bei der Geburt geblieben, und somit war das Geheimnis, das den rosthaarigen Spielmann betraf, für immer tief im Herzen der Wehmutter begraben.
»Sag deinem Franz, er hat mir mit seinem Geschenk eine große Freude bereitet. Jetzt können wir beide endlich wieder leichter atmen.« Theresa lächelte, dann lauschte sie nach draußen. »Was ist das denn für ein Aufruhr auf der Gasse?«, sagte sie. »Klingt ja beinahe, als wäre die halbe Stadt auf den Beinen.«
Neslin zuckte die Achseln. »Seitdem Elsa auf der Welt ist, komm ich gar nicht mehr viel aus dem Haus«, sagte sie. »Aber warte - sollte heute nicht die Prophetin vom Rhein im Dom predigen?
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