Die Prophetin vom Rhein
Vielleicht hat es ja damit etwas zu tun.«
»Die Magistra ist in Köln?« Theresas Augen schienen plötzlich übergroß. »Dann muss ich zu ihr! Sie wird mir bestimmt helfen.«
»Du kennst sie?«, fragte Neslin erstaunt.
»Aus einem anderen Leben. Als ich noch blind vor Liebe war und nicht begriffen habe, wie gut sie es mit mir meint. Wie tief ich sie verletzt haben muss! Ich kann nur hoffen, dass ihr Herz ebenso groß ist wie ihr Geist.«
Jetzt fuhren beide Frauen zusammen, denn plötzlich stand Jonata in der Küche, schweißnass, mit aufgelösten Flechten.
»Du musst weg von hier, Theresa!«, schrie sie. »Sofort! Sie sagen, du hättest mein Kind getötet, weil du eine Ketzerin bist. Hermann hat die Meute aufgewiegelt und zu deinem Haus geführt, wo sie vor lauter Wut darüber, dich nicht zu fassen zu bekommen, alles kurz und klein geschlagen haben. Jetzt sind sie ausgeschwärmt, um dich zu finden …«
»Zurück in die Kammer!«, rief Neslin. »Dort wird dich keiner finden.«
Doch Theresa schüttelte den Kopf. »Die Zeit des Versteckens ist vorbei«, sagte sie. »Weder bin ich eine Mörderin, noch hab ich jemals zu denen gehört, die sich gute Christen nennen. Ich will auf der Stelle zur Magistra. Bei ihr werden mein Kind und ich in Sicherheit sein.«
Sie ging zur Tür, war mit einem Schritt schon draußen, als das Geschrei anschwoll. Neslin bekam sie am Kleid zu packen und zog sie resolut zurück in die Küche.
»Sie werden dich steinigen, Theresa«, sagte sie. »Bei lebendigem Leib. Denk an dein Kleines! Du bist jetzt für euch beide verantwortlich.«
Inzwischen rannten sie. Die Meute war ihnen immer dichter auf den Fersen.
Einer hatte sie sehr schnell wiedererkannt, ein frommer Mann, der einige Male zu den Versammlungen der guten
Christen gekommen war, dann aber plötzlich weggeblieben war.
»Die Metze des Flamen!«, hatte er geschrien und mit dem Finger auf Magota gezeigt. »Ergreift sie - dann wird auch der verfluchte Ketzerdiakon nicht mehr weit sein …«
Magota hatte inzwischen die Schuhe verloren und sich die Sohlen böse zerschnitten. Eine Weile fühlte sie sich stark und kräftig, als könne sie ihr Schicksal besiegen, dann jedoch begann es, zwischen ihren Rippen zu stechen, und der Atem wurde ihr knapp. Neben sich hörte sie Dudo keuchen, der versprochen hatte, sie an einen sicheren Ort zu bringen, aber inzwischen ebenfalls zum Gejagten geworden war.
Waren sie nicht gerade im Kreis gelaufen?
All die Kölner Gassen und Plätze, durch die sie in glücklicheren Tagen geschlendert war, schienen nur noch Teile eines verwirrenden Labyrinths zu sein, aus dem es keinen Ausweg gab. Die wilde Hatz führte vorbei an den Fleischbänken, streifte Gemüse- und Käsemarkt und mündete schließlich in den Kornmarkt, der sich nach hinten immer weiter verengte. In der kleinen Budengasse wurden sie gestellt.
Von beiden Seiten näherten sich aufgebrachte Männer und Frauen, einige mit Knüppeln oder Äxten in der Hand. Andere hatten unterwegs große Steine gesammelt, die sie nun angriffslustig schwenkten.
»Haltet ein!«, rief Dudo, dem blanke Todesangst ins Gesicht geschrieben stand. »Hört mir doch zu, gute Leute! Ihr begeht einen großen Fehler. Ich bin euer Dompropst, der dieses Ketzerweib auf den Scheiterhaufen bringen wird.«
»Und ich Seine Heiligkeit, der Papst in Rom!«, schrie ein junger Mann zurück. »Einer von den vielen, die jetzt regieren.«
Die Meute lachte johlend.
Magota schrie plötzlich schmerzerfüllt auf und sackte in sich zusammen, beide Hände auf den Leib gepresst.
»Hat der Teufel gerade wieder seinen haarigen Schwanz in dich gestoßen?«, rief eine Frau. »So klingt das nämlich, wenn zwei Satansbraten schwarze Hochzeit miteinander feiern.«
»Dagegen hilft nur eines: Buße tun.«
Der erste Stein flog.
Dudo traf er an der Schulter, es folgte ein zweiter, der mitten auf seine Brust prallte. Dem Dompropst entrang sich ein dünnes Stöhnen, das die Menge nur noch weiter anfeuerte.
»Auf sie!«, schrie jemand. »Habt ihr nicht eben die alte Nonne gehört? Wir sind Gottes Schwert - wir !«
Immer mehr Steine wurden geworfen, immer dichter prasselten sie hintereinander auf Magota und Dudo nieder, die vergeblich versuchten, sich dagegen zu wehren.
Schon bald erwischte Magota einer an der Schläfe. Mit einem Ausdruck ungläubigen Erstaunens sank sie zu Boden, zuckte noch einmal, dann lag sie still. Zwischen ihren mageren Schenkeln färbte sich der grelle Stoff dunkel.
Dudo
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