Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Prophetin vom Rhein

Titel: Die Prophetin vom Rhein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
Vom Netzwerk:
nicht wahr.« Theresa machte einen Schritt auf ihn zu, Gero aber schwenkte angriffslustig eine Zange, als wolle er sie im nächsten Moment nach ihr werfen.
Außer ihm sah sie niemanden in der Werkstatt, und Mitleid stieg in ihr auf. War er dafür nicht noch viel zu jung? »Musst du denn ganz allein arbeiten?«, fragte sie ungläubig.
    »Der Geselle hat sich wieder einmal halb um den Verstand gesoffen, aber was geht dich das schon an?«, schrie er. »Mach du dich doch weiterhin lieb Kind bei deinen schwarzen Krähen, damit sie überall ihre dreisten Lügen über mich verbreiten können! Stammt das mit dem Bankert eigentlich von dir?«
    Sie zuckte zusammen, weil hinter ihr plötzlich eine hünenhafte Gestalt aufgetaucht war.
    »Du bist doch fleißig bei der Arbeit, Junge?« Eine Stimme wie Donnergetöse. »Denn liefern wir nicht rechtzeitig, wird der Erzbischof sehr ungehalten sein.«
    »Bin ich, Meister.« Gero hatte seine Arbeit am Kettengeflecht wieder aufgenommen.
    »Ist noch etwas, Mädchen?« Der Sarwürker beugte sich zu Theresa herunter. Seinem ungeschlachten Gesicht auf einmal so nah zu sein, machte sie befangen. »Sonst lass ihn jetzt besser in Frieden! Er macht nämlich gern mal Fehler, dein Herr Bruder, besonders beim Nieten. Fehler, die wir uns nicht leisten können.«
    Sie schüttelte den Kopf, drehte sich um und lief hinaus. Zu rasch, um mitzubekommen, dass Gero ihr mit feuchten Augen hinterherstarrte.
    Auch Theresa weinte, und je schneller sie rannte, desto heftiger wurde ihr Schluchzen. Sie hatte ihn verloren, genauso wie sie Mutter und das Kleine verloren hatte - und zuvor Vater und die heimatliche Burg. Nichts mehr war so wie einst, als hätte das Schicksal das Unterste zuoberst gestülpt und sie alle wie Lumpenpuppen wahllos umhergeschleudert.

    Vor van Gents Haus blieb sie stehen und wischte sich mit dem Rock das Gesicht trocken. In diesem aufgelösten Zustand wollte sie weder Magota unter die Augen treten noch Adrian und erst recht nicht Willem. Unentschlossen umrundete sie das Haus und stieß dabei plötzlich auf eine Art Schuppen, der für alles Mögliche taugen mochte. Erregte Frauenstimmen ließen sie innehalten.
    »Und dafür hab ich meinen Johannes bei der Nachbarin gelassen?«, rief die eine. »Zum Eingreifen ist es ohnehin viel zu spät. Das würdest du nicht überleben.«
    »Aber du musst es wegmachen, bitte! Wenn es um Geld geht, so könnte ich …«
    »Behalt dein Geld! Das ändert nichts an meiner Entscheidung.«
    »Ich kann dieses Kind nicht bekommen!« Die zweite, jüngere Stimme schraubte sich verzweifelt in immer schrillere Höhen. »Wenn er erfährt, dass ich schwanger bin, wird er mich …« Die Worte erstarben in wildem Weinen.
    »Soll ich einmal mit ihm reden?«
    »Nein - niemals! Versprich mir bei allem, was dir heilig ist, dass du das sein lässt!«
    »Dann ist nicht er der Vater? Bist du deshalb so verzweifelt?«
    »Du hast nichts verstanden - gar nichts! Wir müssen keusch bleiben, ein jeder von uns, denn wer dagegen verstößt, der versündigt sich gegen den guten Gott.«
    Theresa hatte plötzlich Gänsehaut am ganzen Körper. Erneut waren sie zurück, die Bilder und Gefühle jener Schreckensnacht, die ihrer Mutter den Tod gebracht hatte. Verfolgte dieses abscheuliche Thema sie neuerdings auf Tritt und Schritt?
    »Gott hat uns als Mann und Frau erschaffen.« Das war wieder die erste Frauenstimme, die warm klang und offenbar
beruhigen wollte. »Und hätte er nicht gewollt, dass wir uns miteinander in Liebe vereinigen, so wären wir gewiss ganz anders ausgestattet. Also nimm deinen Mut zusammen! Du bist jung und gesund, und wenn es wirklich so weit ist, helfe ich dir gern …«
    Drinnen schien etwas umgefallen zu sein. Oder gingen die beiden Frauen etwa aufeinander los?
    Theresa machte einen raschen Satz, lief um das Haus herum und klopfte an die Tür. Lange Zeit geschah nichts, dann war es abermals Willem, der ihr öffnete.
    Hatte ihr Gesicht verraten, was ihr Herz fühlte? Ein paar kostbare Momente lang sahen sie sich nur stumm an. Schließlich legte er den Finger auf die Lippen.
    »Wir müssen leise sein«, murmelte er. »Sie sind noch beim Beten.«
    Die Nonne vom Rupertsberg und der Stoffhändler aus Gent?
    Theresa hörte Adrians kräftiges Organ durch die Tür. Er sprach ihr Lieblingsgebet, das Vaterunser, langsam und betont, als würde er jedes einzelne Wort sorgfältig abwägen. Ein Gebet, das Ada ihr schon beigebracht hatte, als sie noch ein kleines Kind gewesen war.

Weitere Kostenlose Bücher