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Die Prophetin vom Rhein

Titel: Die Prophetin vom Rhein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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Theresa ein Gärtnermesser
geschenkt, das diese nun stets bei sich trug, und wies sie unermüdlich auf neue Triebe und Knospen hin. Mit erstaunlicher Geduld machte sie das Mädchen mit den verschiedensten Arbeiten im Freien vertraut und lachte fröhlich, wenn Theresa das Gesicht verzog und sich darüber beklagen wollte, dass ihr Kopf für diesen Tag bereits übervoll sei.
    »Dabei hab ich noch nicht einmal richtig angefangen!« Wenn Benigna erst einmal losgelegt hatte, war es schwer, sie zu bremsen. »Du möchtest die Pflanzen verstehen lernen, um die Menschen wieder gesund zu machen? Damit wandelst du in wahrhaft großen Fußstapfen, mein Kind! Unser Ordensgründer hat einst gesagt: ›Infirmorum cura ante omnia et super omnia adhibenda est, ut sicut revera Christo ita eis serviatur.‹ «
    Theresa sah sie stirnrunzelnd an.
    »Jetzt siehst du einmal, wozu man Latein braucht!«, rief Benigna. »›Die Sorge für die Kranken muss vor und über allem stehen, damit man ihnen wirklich wie Christus diene. ‹ Das bedeuten seine Worte, und ich hab diesem Grundsatz mein Leben geweiht. Wenn du dich nun auch dafür entschließt - nichts auf der Welt könnte mich glücklicher machen.«
    Sie drückte Theresa ein Wachstäfelchen in die Hand, auf das sie verschiedene lateinische Pflanzennamen geschrieben hatte, und wies sie an, das Entsprechende im Klostergarten zu pflücken. Die Ausbeute war für einen ersten Versuch gar nicht einmal so übel, doch Schwester Benigna war noch lange nicht zufrieden.
    » Salvia officinalis alias Salbei gegen Husten und Rosmarinus officinalis, als Rosmarin bekannt, der gegen Blähungen hilft und Entzündungen vertreiben kann, hast du ja auf Anhieb gefunden. Ebenso Glechoma hederacea , meinen geliebten
Gundermann, der den Appetit der Kranken anregt. Doch anstelle des Allium ursinum, des Bärlauchs, der die Knochen festigt und das Herz gleichmäßiger schlagen lässt, schleppst du mir hier Colchicum autumnale an, giftige Herbstzeitlose, die frisch ausgetrieben hat.«
    »Ist doch bloß ein Versehen«, murmelte Theresa beschämt, die eigentlich mit Lob gerechnet hatte.
    »In der Medizin darf es kein Versehen geben, kein ›bloß‹ oder ›vielleicht‹, Theresa! Irrtümer können tödlich sein. Deshalb musst du alles daransetzen, sie zu vermeiden.« Sie lenkte ein, als sie sah, wie zerknirscht das Mädchen war. »Doch wir sind Menschen. Manchmal unterlaufen uns eben Fehler. Dann müssen wir versuchen, sie so schnell wie möglich zu korrigieren.«
    Beide wurden still, weil sie bei diesen Worten an Adas qualvolles Ende denken mussten.
    »Vielleicht sollte ich dich bei Gelegenheit mit der Wehmutter Eva bekannt machen«, sagte Benigna nach einer Weile. »Sie holt manchmal die Kräuter bei mir, die sie für ihre Schwangeren und Kreißenden braucht …«
    »Lass mich bloß mit diesem Weib in Ruhe!«, fiel Theresa ihr ins Wort. »Von mir aus kann sie zur Hölle fahren.«
    »Du bist schon zu erwachsen, um solchen Unsinn zu reden.« Die Infirmarin klang plötzlich streng. »Eva hat keine Schuld am Tod deiner Mutter, das weißt du ganz genau. Sie verdient vielmehr deinen Respekt, denn als Wehmutter versteht sie sehr viel von den Wirkkräften der Natur.«
    Theresa zog die Schultern hoch und schwieg.
    Benigna war zu klug, um jetzt weiter in sie zu dringen. Lieber verließ sie sich auf die heilende Wirkung der Zeit. Und auf den Verstand ihrer jungen Schülerin, der ihr wie ein kostbarer Rohstein vorkam, der freilich noch geschliffen und liebevoll poliert werden musste.

    Vor allem aber brauchte das Mädchen Abwechslung. Und sie sollte zudem Gelegenheit erhalten, Gero wiederzusehen. Daher wandte sich Benigna an Hedwig, die für alles Organisatorische verantwortlich war. Hedwig wusste es einzurichten, dass Theresa Schwester Magota begleiten sollte, die mit einem speziellen Auftrag nach Bingen entsandt wurde. Trotz des Schweigegebots schien sich unter den Nonnen herumgesprochen zu haben, was Magota jenseits der großen Brücke erledigen sollte. Wangen röteten sich, es gab aufgeregtes Tuscheln und heimliches Gekichere, als rüste man sich zu einem Hochzeitsfest.
    Die Hüterin der Kleiderkammer schien wenig erpicht auf Theresas Begleitung und hatte wohl sogar persönlich bei Hildegard vorgesprochen, ob sie nicht doch lieber allein oder wenigstens mit einer anderen Schwester gehen könne. Doch die Magistra hatte abgelehnt.
    Und so verließen Magota und das Mädchen an einem warmen Frühlingstag Seite an Seite den

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