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Die Prophetin vom Rhein

Titel: Die Prophetin vom Rhein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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durch deren Hände schon so viele Codices gegangen waren. Ferner Infirmarin Benigna, der kaum eine Pflanze unbekannt schien. Ergänzt wurden die Frauen durch Bruder Volmar, der unter ihnen, wenn es nötig wurde, allein durch eine Geste oder seine sprechende Mimik zu schlichten wusste. Vervollständigt wurde die Gruppe durch Theresa, die überall half, wo es nötig schien. Dass sie hinzugezogen wurde, war eine Auszeichnung, um die andere Schwestern, die in ihr schon die neue Favoritin Hildegards sahen, sie heimlich beneideten. Bisweilen gesellte sich auch Eva dazu, die Bingener Wehmutter, die durch ihren jahrelangen Beistand für Frauen in Kindsnöten Wichtiges beizusteuern wusste.
    Ab und zu brachte sie ihren Jüngsten mit auf den Rupertsberg, den kleinen Johannes, einen freundlichen, temperamentvollen Blondschopf, der auf seinen dicken Beinchen im Kreuzgang hin und her tapste und fröhlich zu quietschen begann, sobald jemand ihn einfing und durch die Luft schwenkte. Die frommen Schwestern verwöhnten ihn mit Naschwerk und wetteiferten darin, ihn zu herzen und zu kosen.

    Theresa behielt wohlweislich für sich, wie sehr sie inzwischen diesen Besuchen entgegenfieberte, denn Eva kam ihr vor wie die Botin aus einer anderen Welt, zu der sie den Zugang mehr und mehr verlor. Ob Zufall oder doch eher Kalkül, seit dem Vorfall mit Magota hatte sich keine Gelegenheit ergeben, das Kloster zu verlassen, abgesehen von einer einzigen Ausnahme, die schon Monate zurücklag. Damals hatte Theresa einen weiteren Versuch unternommen, Gero wiederzusehen, um das lächerliche Missverständnis zwischen ihnen auszuräumen. Sie war aber bereits an der Tür zur Werkstatt vom Sarwürkermeister unwirsch abgefangen worden.
    »Dein Bruder ist gerade nicht da, aber selbst wenn er da wäre, würde er dich nicht sehen wollen. Kapier das doch endlich, Mädchen! Du und er, ihr lebt jetzt in verschiedenen Welten. Je eher das in eure sturen Schädel geht, desto besser für euch!«
    Thies schien recht zu behalten mit dem, was er da behauptet hatte, obwohl es Theresa wehtat, denn Gero unternahm seinerseits nichts, um mit ihr in Kontakt zu treten. Nach diesem Zwischenfall, der sie lange beschäftigte, wurde sie niemals mehr nach draußen geschickt, nicht einmal als Begleiterin einer anderen Schwester. Zuerst hatte Theresa dagegen aufbegehrt und in Benignas Gegenwart ihrem Unwillen freien Lauf gelassen. Der Infirmarin aber war es gelungen, sie zu besänftigen, nicht durch Worte, die vermutlich doch nur zu neuem Aufruhr geführt hätten, sondern indem sie die Heranwachsende Arbeiten verrichten ließ, die deren ganze Aufmerksamkeit erforderten.
    »Was du machst, das mach auch richtig!« Dieser einfache Satz, den sie so oft von Benigna gehört hatte, war Theresa inzwischen in Fleisch und Blut übergegangen, und irgendwann hörte sie auf, von einem Leben außerhalb der
Klostermauern zu träumen. Gartenarbeit veredelte, was vordem noch rau und unbefruchtet war, setzte allerdings einen äußerst achtsamen Umgang mit der Zeit voraus. Man musste sich nicht nur bücken, sondern auch Geduld aufbringen. Inzwischen war ihr bewusst, dass es vor allem um Beständigkeit - stabilitas - ging, vor der man sich nicht davonstehlen durfte. Sie hatte ebenfalls begriffen, dass im kleinsten Samenkorn, wenn es plötzlich aufging, ein großer Zauber liegen konnte, der sprachlos machte. Ihr Verständnis dieser lebendigen Welt, die sich dauernd veränderte, vertiefte sich von Tag zu Tag, von Monat zu Monat und bereitete ihr größere Freude, als sie es je für möglich gehalten hätte.
    Eine ganze Weile hatte sie Willem darüber beinahe vergessen - oder sich zumindest weisgemacht, dass es so sei. Doch auch ihr Körper veränderte sich, streckte sich zunächst noch ein ganzes Stück, sodass sie der hochgewachsenen Magistra nun auf gleicher Höhe in die Augen schauen konnte. Dann jedoch verlor sie innerhalb eines Jahres ihre Schlaksigkeit, ihr Körper rundete sich wie eine Frucht, die langsam reift. Irgendwann, ohne dass etwas Konkretes vorgefallen war, hatte Willems Bild sich erneut in ihre Träume geschlichen: ein dunkler, lockender Schatten, der lebendiger wurde, je mehr Raum sie ihm in ihren Gedanken und Sehnsüchten gab.
    Ob er noch gelegentlich nach Bingen kam? Vielleicht hatte er ja längst irgendwo ein Weib gefreit und eine Familie gegründet, eine Vorstellung, die Theresa allerdings unerträglich erschien. Ob er ab und zu an sie dachte? Oder hatte er sie längst aus seinen

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