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Die Prophetin vom Rhein

Titel: Die Prophetin vom Rhein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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und das Gewicht des Eisens auf seinem dünnen Hemd war nahezu überwältigend gewesen. So musste sein Vater sich gefühlt haben, der als Ritter zum Kreuzzug ins Heilige Land aufgebrochen war - oder zumindest beinahe so, denn natürlich hatte Robert von Ortenburg unter dem Eisen einen gefütterten Gambeson getragen.
    Die Vorstellung trieb Gero die Tränen in die Augen und ließ ihn schnell wieder aus der Brünne fahren.
    Von seinem Traum war er weiter entfernt als jemals zuvor. Was war nur in diesem düsteren Haus aus ihm geworden?
    Der Lehrling eines Sarwürkers! Gero ballte die Fäuste vor Wut, was noch immer ein besseres Gefühl vermittelte als das Weinen von eben.

    Das Wirken der großen Flächen war seine Aufgabe gewesen, während Laurenz und der Meister, vorausgesetzt, der Geselle war nicht wieder einmal zu betrunken, um überhaupt zur Arbeit zu erscheinen, sich die diffizilen Teile vorgenommen hatten: Kragen, Schultern und Arme. Seltsamerweise ließ Thies den Gesellen fast immer in Frieden, brummte lediglich Unverständliches, wenn es bereits Mittag schlug, bevor Laurenz aus dem Stroh kroch. Der Meister reagierte seine Unzufriedenheit lieber an Gero ab, obwohl der meistens gar nichts verbrochen hatte. Aber er konnte ihn in gewisser Weise verstehen, denn die Dinge standen alles andere als gut im Sarwürkerhaus.
    Zwar hatte Cillie inzwischen den erwünschten Stammhalter zur Welt gebracht, doch es war eine schwierige Geburt gewesen, die sich über einen ganzen Tag erstreckte. Es bedurfte zahlreicher Mittelchen zum Wehentreiben wie Salbei und Krokus, bis schließlich ein bläuliches, verschrumpeltes Etwas zwischen ihren Schenkeln herausglitt. Wehmutter Eva musste all ihre Kunstfertigkeit einsetzen, dass der Kleine überhaupt atmete, aber selbst dann hob und senkte sich die winzige Brust noch so krampfhaft, dass man bei jedem Zug befürchten musste, es sei womöglich der letzte.
    Auch mit dem Stillen haperte es: Um den winzigen Rochus, wie sie ihn getauft hatten, zu nähren, gaben Cillies Brüste nicht genug Milch her, obwohl Eva die Mutter einer wahren Rosskur unterzog, mit heißen Umschlägen auf dem Busen und Teemischungen aus Fenchel, Kümmel und Anis, die diese nur widerwillig trank. Ein paar hoffnungsvolle Tage später schien verdünnte Ziegenmilch die ideale Lösung zu sein, die die Wöchnerin entlastete, doch dann zwangen massive Darmprobleme des Kleinen zu einem raschen Umdenken.

    Seitdem wohnte die Witwe des Flickschusters Jockel mit im Haus, Feme mit den schweren Brüsten, deren kleine Tochter nur wenige Wochen nach der Geburt ganz plötzlich zu atmen aufgehört hatte. Feme, deren unaufhörlich fließende Milch nun dem kleinen Rochus zugutekam.
    Alles war anders geworden. Die Männer unterbrachen ihr spärliches Gespräch und glotzten nur noch, wenn Feme den Stoff beiseiteschob und Rochus an die Brust legte. Cillie war noch mürrischer geworden, blieb tagelang in der Schlafkammer, ohne sich die Mühe zu machen, sich anzukleiden, und wäre nicht Eva gewesen, die immer wieder nach dem Rechten schaute, so wäre das Sarwürkerhaus wohl bald in einem Chaos aus Schmutz und vorwurfsvollem Schweigen versunken.
    Die Wehmutter sorgte dafür, dass der Säugling gebadet wurde. Sie stieß die Fenster auf, um die frische Herbstluft hereinzulassen, forderte frische Wäsche für Wöchnerin, Amme und Kind und sprach vor allem Thies, der das Glotzen gar nicht mehr lassen konnte, ernsthaft ins Gewissen.
    »Deine Cillie darf so bald nicht mehr schwanger werden. Ich hoffe, das weißt du.«
    Er gab ein Grunzen von sich, das alles und nichts bedeuten konnte.
    »Das heißt aber nicht, dass du dich über die Amme hermachen sollst. Du kannst gerade mal eine Frau und ein Kind ernähren, vergiss das nicht!«
    »Wer bist du eigentlich, so mit mir zu reden?« Seine klobigen Gliedmaßen setzten sich langsam in Bewegung.
    »Wer ich bin?« Eva stieß ein kurzes Lachen aus. »Muss ich dir das wirklich erst sagen? Die, zu der alle kommen, wenn sie gar nicht mehr weiterwissen. Vor, während und nach dem Gebären. Ganz nebenbei erwähnt, hab ich seit Wochen keinen Kreuzer mehr von dir gesehen. Und trotzdem
bin ich immer wieder da. Daran solltest du vielleicht einmal denken.«
    Sie nahm ihren Korb, wandte sich zum Gehen.
    »Übrigens hast du noch eine weitere Verantwortung«, sagte sie, bereits auf der Schwelle. »Der Junge der Gräfin. Du tust ihm nichts Gutes, wenn du ihn nur drückst und knechtest. Gero ist wie ein wildes Füllen, das

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