Die Prophetin vom Rhein
Erinnerungen gestrichen?
Lauter Fragen, die Theresa schwer auf der Seele lagen. Doch mit wem sollte sie darüber sprechen, ohne ihre Sehnsucht preiszugeben? Die frommen Schwestern, die sie
mittlerweile als eine der Ihren ansahen, schieden allesamt aus. Als Einzige kam Eva in Betracht, Eva, die das Kloster betreten und wieder verlassen konnte, die als Wehmutter überall herumkam und dabei erfuhr, was in der Stadt geschah.
Es dauerte, bis Theresa den Mut aufbrachte, Eva nach Willem zu fragen. Und als sie es schließlich wagte, während Schwester Benigna bereits vorausgegangen war, um den Grünschnitt der Obstbäume vorzubereiten, der die Bildung neuer Knospen im nächsten Jahr förderte, zitterten ihre Knie, so aufgeregt war sie auf einmal.
Eva hielt inne im Schneiden des Betonienkrauts, als das Mädchen zu reden begonnen hatte, und blickte prüfend zu ihr auf.
»Den jungen Flamen?«, sagte sie mit seltsamer Betonung. »Den hab ich schon eine ganze Weile nicht mehr in der Stadt gesehen. Was willst du denn von ihm?«
»Nichts.« Theresas Stimme war auf einmal höher geworden.
»Nichts?« Eva erhob sich langsam und klopfte die Erde von ihrem Leinenrock ab. Weil es so warm war, trug sie dazu ein locker geschnürtes Mieder, das ihre Weiblichkeit unterstrich, viel mehr als die weiten, schweren Gewänder, die diese den Winter über verhüllt hatten. Plötzlich wünschte Theresa sich auch so ein leichtes Kleid, das die Brüste betonen und sich an den Hüften bauschen würde. Könnte so ein lichtes Blau ihre Augen nicht viel strahlender machen als diese grobe Nonnenkutte aus ungefärbter Wolle, die sie insgeheim längst überhatte?
Was war eigentlich aus dem Festgewand der Mutter geworden, das Ada wider jede Vernunft auf die beschwerliche Reise mitgenommen hatte? Leuchtend rot war es gewesen, aus Samt und Seide, mit goldenen Borten geschmückt,
und jedes Mal, wenn sie es getragen hatte, war sie Theresa darin wie eine Königin erschienen. In der Aufregung jener schrecklichen Nacht schien es spurlos verschwunden zu sein.
Sollte sie die Magistra danach fragen?
Eine innere Stimme riet ihr, es lieber bleiben zu lassen. Doch sollte sie Willem eines Tages wiedersehen, so brauchte sie dringend ein neues Kleid, eines, das ihr gut stand und ihm zeigte, dass sie von Kopf bis Fuß zur Frau geworden war.
»Es ist nur … Er war immer sehr freundlich zu mir«, stammelte sie, weil ihre Gedanken sie erschreckten. »Schließlich hat er uns hierhergebracht. Da ist es doch nur natürlich, dass ich …« Sie verstummte.
Evas Blick war noch eine Spur skeptischer geworden.
Theresa wurde immer unbehaglicher zumute. Was redete sie da herum? Warum fasste sie sich nicht endlich ein Herz und fragte die Hebamme nach dem, was sie unbedingt erfahren wollte?
»Ein Tee aus Heilziest beruhigt das Zahnfleisch, hilft gegen Darmentzündungen und macht die Zeit der Monatsblutung weniger schmerzhaft«, sagte Eva und sah sie dabei vielsagend an. »Außerdem vertreibt er böse Träume. Willst du dir nicht auch eine Handvoll davon abschneiden?«
Theresa blieb stumm.
»Um sich allerdings von Liebeswahn zu lösen«, fuhr Eva fort, »muss man sich ein Blatt in jedes Nasenloch stopfen, eines unter die Zunge legen, je eines in die Hände nehmen und unter die Füße stecken - dann erst wird man wieder frei.«
»Verspotte mich nicht!«, fuhr Theresa auf.
»Das tue ich nicht. Aber du solltest dich einmal sehen, Mädchen! Kaum nimmst du seinen Namen in den Mund,
beginnt dein Gesicht zu leuchten wie eine Sonnenblume. Wenn ich irgendetwas über diese Welt weiß, dann das, was zwischen Frauen und Männern geschieht. Denn mit dem, was daraus entsteht, kommen sie ja schließlich irgendwann alle zu mir.«
Evas Lächeln war plötzlich erloschen.
»Schlag dir diesen jungen Kaufmann aus dem Kopf! Wer im Dunkeln ist, sucht das Licht. Doch manchmal ist selbst ein starkes Licht nicht mächtig genug, um die Schwärze zu erhellen.«
Theresa mochte nicht hören, was Eva sagte. Und dennoch gab es etwas in ihr, das wusste, dass es keine Lüge war.
»Kennst du ihn denn so gut?«, rief sie barsch, um ihre Betroffenheit zu verbergen. »Und woher? Darf ich das auch erfahren?«
»Gut genug, um zu wissen, dass ein Willem van Gent nichts für dich ist. Vergiss ihn, Theresa! Er würde dich nur unglücklich machen.« Eva legte das Betonienkraut zu den anderen Pflanzen in ihren Korb und breitete plötzlich die Arme aus, als wolle sie den Klostergarten umschließen. »Ein kleines
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