Die Prophetin vom Rhein
was immer du brauchst, Eva. Lauf damit nach Hause und sieh zu, dass das Kraut bei Johannes anschlägt! Wir wollen sofort Bescheid, wenn eine Besserung eintritt.«
»Und wenn nicht?« Evas Stimme war nur noch ein Flüstern.
»Wie soll der Sohn gesund werden, wenn die Mutter so mutlos ist?«, sagte Benigna ungewohnt streng. »Also nimm dich gefälligst zusammen und bete inbrünstig zur Muttergottes! Und genau das werden auch wir Schwestern gemeinsam für euch tun. Ihre Gnade und unsere Gebete können den Kleinen retten.«
Zweimal schon war Gero weggelaufen und hatte es dabei doch nicht viel weiter als bis zur Stadtmauer geschafft. Es war beinahe, als habe der Sarwürker es im Blut, wenn Gero einen Ausbruch plante. Beim ersten Mal hatte er ihn vor der Dreispforte gestellt und quer durch die ganze Stadt zurück in die Werkstatt geschleift, wo er ihn anschließend verprügelte, so gründlich und mitleidlos, dass Gero über Tage kaum noch sitzen konnte. Beim nächsten Versuch war
der Junge sich sehr viel klüger vorgekommen, hatte abgewartet und mit dem Tag nach Johanni einen Zeitpunkt gewählt, der ihm besonders günstig erschienen war, weil die Menschen nach der Feier der kürzesten Nacht des Jahres ausschlafen mussten und der halbe Sommer noch vor ihm lag. Im ersten Morgengrauen hatte er sich zur Schiffsanlegestelle schleichen wollen, um von dort aus an Bord des nächsten Lastkahns stromabwärts zu gelangen. Köln war sein Ziel, die große Stadt, in der man sicher gut untertauchen konnte, ohne aufgespürt zu werden. Doch Thies, sonst nach solchen Gelagen schnarchend, dass die Wände erzitterten, schien ausnahmsweise auf der Lauer gelegen zu haben. Kaum hatte Gero das Haus verlassen, heftete er sich an seine Fersen, ließ ihm zwar zunächst noch einen trügerischen Vorsprung wie die Katze einer Maus, derer sie sich ohnehin gewiss ist, packte aber dann umso zielsicherer zu.
Dieses Mal war es schwieriger gewesen, seine Angst in Schach zu halten. Allein wenn Gero daran dachte, schien die Luft in seiner Lunge weniger zu werden, und seine Haut fühlte sich an, als sei sie plötzlich zu eng für den Körper geworden. Thies hatte sich vor ihm aufgebaut, massig und unbezwingbar wie ein Berg, dabei war der Junge inzwischen ein ganzes Stück in die Höhe geschossen und stolz auf seine langen, beweglichen Glieder.
»Beim nächsten Mal bring ich dich um«, sagte der Sarwürker mit einer so dumpf klingenden Stimme, dass Gero keinerlei Zweifel daran hegte: Er meinte auch, was er sagte. »Ein Thies hält, was er verspricht - und wenn ich dich dafür totmachen muss.« Er nahm einen Lederriemen. »Mit dem Gesicht zu Wand!«, befahl er. »Bück dich! Und nicht einen Ton will ich hören!«
Mit einem Ruck hatte er Geros kurzes Gewand hochgezerrt. Die Schläge trafen das bloße Gesäß des Jungen,
seinen Rücken, die Nieren. Irgendwann hörte Gero auf, sie mitzuzählen, er musste damit aufhören, denn die Hiebe wurden immer schneller und härter, ein Trommelwirbel aus Hitze und Schmerz, bis sein Rücken sich wie eine einzige offene Wunde anfühlte. Längst war jeder Widerstand gebrochen. Gero heulte, schrie und flennte, um endlich dieser Qual zu entrinnen, doch Thies ließ erst von ihm ab, als dem Jungen so kotzübel war, dass er kaum noch stammeln konnte.
Er erhielt einen letzten groben Tritt.
»Bedeck dich«, sagte Thies. »Die nächsten drei Tage frisst und säufst du mir aus dem Hundenapf, denn nichts anderes bist du: ein treuloser, hinterhältiger Hundsfott!« Seine Hand spielte mit dem Lederriemen, als wolle er diesen erneut auf Gero niedersausen lassen. »Ich bin dein Herr - und du hast zu gehorchen, sonst mach ich dich tot. Vergiss das nicht!«
Als ob der Junge das gekonnt hätte!
In der Küche hatte Cillie schon vor Monaten das Regiment an Feme abgeben müssen, die noch immer im Sarwürkerhaus lebte, obwohl ihre schweren Brüste den kleinen Rochus längst nicht mehr stillten.
Und nicht nur dort herrschte sie inzwischen. Thies hatte sie auch in der ehelichen Schlafkammer einquartiert, wo er Nacht für Nacht ungeniert und lautstark mit ihr hurte, während Cillie in einer engen Kammer die Augen kaum zufallen wollten.
Dass er jetzt zwei Frauen hatte, eine Angetraute und eine Kebse, die er auch noch kurz nacheinander geschwängert hatte, schien den Meister mit Genugtuung zu erfüllen. Nach außen hin war er zu beiden grob, zu Cillie, die ihm auf einmal gar nichts mehr recht machen konnte, allerdings noch um einiges
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