Die Prophetin vom Rhein
mitarbeiten, Gerhild!« Evas Stimme klang streng. »Sonst machst du deinem Kleinen den Weg in diese Welt schwerer als nötig. Stütz den Rücken deiner Schwester, Helene! Ja, so ist es gut. Und du, Gerhild, lehn dich fest an sie, wenn die nächste Wehe kommt!«
Das widerlich schmeckende Gebräu aus Himbeerblättertee und Mutterkorn, das sie ihr eingeflößt hatten, schien seine Wirkung zu tun, denn Gerhilds Wehen kamen jetzt rascher hintereinander.
»Und der Kindsvater?«, fragte Eva in einer der Pausen, die immer kürzer und damit kostbarer wurden. »Etwa der Schuft, der dich dazu verführt hat, Vater und Mutter zu verlassen und wie er das Heil bei jenen Abtrünnigen zu suchen, die sich in Mainz zusammengerottet haben?«
Gerhilds beredtes Schweigen war ihr Antwort genug.
Die Wehmutter benetzte ihre Hände mit warmem Wasser und begann zu tasten. »Ich kann das Köpfchen schon spüren. Jetzt musst du deinen ganzen Mut zusammennehmen, Gerhild. Pressen - pressen!«
Japsen, Stöhnen, ein lauter Schrei: »Ich kann nicht!«
»Doch, du kannst - weiter, weiter, ja, gut, so fest es geht. Jetzt ist es da!«
Während Gerhild kraftlos nach hinten sackte, schienen Evas Hände auf einmal zu fliegen. Theresa, halb hinter ihr, wusste sofort, weshalb. Das winzige kleine Mädchen war blau angelaufen und hatte die Nabelschnur dreifach um den Hals gewickelt. Eva befreite sie davon und versuchte dann unermüdlich, ihr Atem einzuhauchen, doch noch immer war kein erlösender Schrei zu vernehmen.
Plötzlich schlug jemand von draußen hart an die Tür.
»Aufmachen!«, rief eine Männerstimme. »Wo ist Schwester Gerhild? Ich muss dringend zu ihr.«
Gerhild fuhr auf wie von wütenden Teufeln gehetzt. »Jetzt haben sie mich!«, rief sie und begann haltlos zu weinen. »Sie wollen mein Kind umbringen. Trine, lass sie nicht herein!«
Hatte die Alte sie nicht gehört, oder hatte der Rufer von außen fester gegen das morsche Holz gedrückt - die Tür flog auf einmal auf.
Theresa sah zunächst einen braunen Walkmantel, dann blickte sie in ein breites, sehr blasses Männergesicht. Ein Auge blau, das andere grün, fast schon bräunlich - wie sehr hatte sie sich danach gesehnt!
Gerhild versuchte aufzustehen, was misslang, denn sie war zu schwach. »Mein Kleines!«, schrie sie. »Meine Elsbeth! Überlasst sie ihm bloß nicht!«
»Was willst du hier?« Eva reichte den schlaffen kleinen Körper an Theresa weiter und baute sich schützend zwischen Willem und Gerhilds Kindbett auf. »Das hier ist heute Nacht alles andere als ein passender Ort für einen wildfremden Mann.«
»Ich bin kein Fremder. Mir war zu Ohren gekommen,
die Schwester sei in Not. Außerdem hab ich noch jemanden mitgebracht …«
Wieder ging die Tür auf, und jetzt schob sich Magotas dürre Gestalt herein.
»Verschwindet!«, schrie Gerhild. »Ihr werdet sie niemals bekommen, niemals! Verstanden?«
Theresa hielt das stille kleine Mädchen ganz ruhig an ihrem Herzen. Wie fein und leicht das Kind war! Kaum mehr als eine Handvoll weicher Federn. Plötzlich zuckte sie zusammen. Hatte sie da nicht soeben ein schwaches Geräusch vernommen, das nur eines bedeuten konnte?
»Sie atmet«, rief sie, allein schon, um diese furchtbare Stille zu füllen. »Ich hab es genau gehört. Elsbeth hat gerade von allein geatmet.« Theresa beugte sich tiefer über das Neugeborene. »Da ist nichts«, sagte sie nach einer Weile. »Leider. Wir haben doch alles probiert. Aber der Allmächtige scheint andere Pläne mit diesem Engelchen zu haben.«
»Du lügst!« Gerhilds Stimme überschlug sich fast. »Meine kleine Elsbeth lebt. Sie muss leben! Wozu sonst hätte ich all diese Schinderei auf mich nehmen sollen?«
»Das tote Kind muss begraben werden«, forderte Willem. »Ich könnte mich seiner annehmen, werte Schwester in Gott. Dann wirst du endlich wieder zur Ruhe kommen.«
»Nein - niemals! Was fällt dir ein? Meine Elsbeth darf nicht so enden wie all die anderen vor ihr. Auf diesem furchtbaren Friedhof der verlorenen Kinder, über den der Wind pfeift.«
Etwas Eisiges kroch in Theresa hoch. Am liebsten wäre sie jetzt weggerannt und hätte alles für immer hinter sich gelassen. Doch irgendetwas zwang sie, stehen zu bleiben, weiterzuatmen und Willem anzusehen, bis er ihren Blick nicht mehr ertragen konnte und den Kopf senken musste.
»Es soll getauft werden.« Theresas Stimme zitterte. »Darauf
bestehe ich. Denn gerade hab ich seinen zarten Atem gespürt.«
»Ein totes Kind?« Willem hörte
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