Die Prophetin vom Rhein
die Magistra so überschwänglich, dass diese sofort misstrauisch wurde. Und wirklich schob sich plötzlich hinter der kleinen Pförtnerin Magotas magere Gestalt nach vorn.
»Es ist alles gesagt.« Hildegard wandte sich ab. »Donata, wie konntest du sie noch einmal hereinlassen?«
»Hat Jesus nicht gesagt, ein reuiger Sünder sei mehr wert als hundert Gerechte?« In den Augen der alten Nonne schimmerten Tränen. »Sie hat mich so sehr angefleht!«
»Du bereust?« Die Magistra wandte sich zu Magota um.
»Einiges, Mutter. Doch das ist nur für deine Ohren bestimmt.«
Sie würde keinen Schritt weiterkommen, das erkannte Hildegard in diesem Moment. Nicht, bevor sie wusste, was Magota wirklich wollte.
»Lasst uns einen Augenblick allein!«, sagte sie zu Volmar und Donata. »Nun? Ich höre.«
»Ich weiß, wo du warst.« Magota redete schnell, wie im Fieber. »Unsere Mitgift holen, nicht wahr? Wenn ich dein Gesicht so ansehe, dann hast du sie auch bekommen.«
»Was willst du?«
»Das, was mir zusteht. Nicht mehr und nicht weniger.« Magota verschränkte trotzig die Arme vor der dürren Brust.
Ein Windstoß beutelte Hildegards Umhang.
»Sieht so deine Reue aus? Ich hab nicht vor, mir hier eine Lungenentzündung zu holen.« Sie wollte gehen.
»Aber du musst mir die Mitgift zurückgeben«, schrie Magota ihr hinterher. »Ich brauche sie. Für mein neues Leben.«
»Ein Leben ohne Gott ist kein Leben.« Die Magistra hatte sich noch einmal zu ihr umgedreht. »Wer sich wie du von Ihm abwendet, fällt aus Seiner Gnade. Du hast nicht nur mich zu erpressen versucht, Magota, du hast auch den Allmächtigen verraten. Dafür wirst du büßen müssen.«
»Zum Glück aber nicht allein!«, rief Magota. »Du hast ja keine Ahnung - von gar nichts!« Jetzt besaß sie Hildegards ganze Aufmerksamkeit, ein kurzer Triumph, der allerdings rasch wieder verpuffte. »Sonst wüsstest du nämlich, dass dein Herzblatt sich den guten Christen anschließen wird, deine geliebte kleine Theresa!«
»Das ist nicht wahr!«
»Ist es doch.« Magota entblößte ihre großen Zähne. »Hebammendienste leistet sie uns bereits. Und bald wird sie ganz zu uns gehören.«
Hildegard bewegte leicht den Kopf, als wolle sie das soeben Gehörte abschütteln.
»Was ich jetzt zu dir sage, wirst du nur einmal von mir hören«, erwiderte sie. »Danach folgen Konsequenzen. Du hältst dich fern von Bingen. Und zwar für immer.« Ihre Stimme war gefährlich ruhig. »Zusammen mit all deinen Schwestern und Brüdern, wie du sie zu nennen pflegst. Sollte ich noch einmal einen von euch hier zu Gesicht bekommen, werde ich dafür sorgen, dass ihr alle miteinander ins Feuer geht. Hast du mich verstanden?«
Damit ließ sie sie allein.
Die ganze Familie war krank, seit Tagen schon, und auch Theresa fühlte sich fiebrig und matt. Darum hatte Eva darauf bestanden, dass sie zu Hause blieb, anstatt sie zur Entbindung der Bäckerin zu begleiten, deren aufgelöster Mann vorhin bei ihnen angeklopft hatte.
»Wird vermutlich keine große Sache.« Die Wehmutter hatte zuversichtlich geklungen. »Die beiden Ersten jedenfalls waren schnell da.«
»Aber du hast doch gesagt, dass es beim dritten Kind auch ganz anders gehen kann …«
»Du darfst nicht von deiner Mutter auf andere schließen, Mädchen!« Eva hatte sie fest am Handgelenk gepackt und damit gezwungen, ihr in die Augen zu schauen. »Mechthild hat bestimmt nichts getan, um ihrem Kind zu schaden.«
Doch nun war Eva schon seit Stunden fort, und allmählich begann Theresa, sich Sorgen zu machen. Die Kinder schliefen unruhig, obwohl ihnen Eva ein wenig von dem Schlafmohn in den Abendtee geträufelt hatte. Florin hatte schon zweimal halblaut aufgeschrien, und der kleine Johannes immer wieder die Decke weggestrampelt, die ihn doch wärmen sollte.
Josch, den es am ärgsten von allen getroffen hatte, schnarchte im Obergeschoss laut. Sein Fieber war tagsüber gestiegen, bis Kopf und Glieder glühend heiß geworden waren. Nur langsam schienen Benignas Mixturen, die Eva aus dem Kloster geholt hatte, Wirkung zu zeigen. Seit Neuestem schwor die Nonne auf Akelei, zermörsert und mit Apfelmus eingenommen, die wahre Wunder wirken und schnell wieder einen klaren Kopf machen sollte.
Der Gedanke an die Infirmarin machte Theresa traurig. Und auch den Klostergarten vermisste sie, besonders seit der unerfreulichen Begegnung mit Willem. Als Eva der Kleinen die Nottaufe gespendet hatte, waren er und
Magota wie aufgescheuchte Nachtgeister
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