Die Prophetin vom Rhein
sich auf einmal an wie sein finsterer Onkel Adrian. »Was redest du da, Theresa?«
»Das ist Gotteslästerung«, rief Magota.
»Ja, sie hat recht«, wiederholte Willem. »Gotteslästerung. Der Körper ist doch nichts als eine lästige, sterbliche Hülle. Allein die Seele wird weiterleben.«
»Wie kannst du so etwas behaupten? Gott hat dieses wunderbare Wesen mit Körper und Seele erschaffen. Genau so, wie es ist.« Theresa wich keinen Fingerbreit. Ihre Blicke sprühten Blitze. Auf einmal war es, als trennte sie von ihm ein tiefer Abgrund. »Tauf sie, Eva!«, rief sie. »Sie darf nicht in die Hölle kommen. Das sind wir Gerhilds kleiner Tochter schuldig.«
Das Übel schlug die Magistra schlimmer als jemals zuvor. Gleich nach dem Feuer hatte es sie erreicht, zwang sie ins Bett und ließ sie kein Glied mehr rühren. Dabei war Hildegard in der Brandnacht eine der Eifrigsten gewesen, hatte Eimer geschleppt, Asche weggekehrt, die anderen mit Speis und Trank gestärkt, damit sie länger durchhielten.
Benigna hatte als Erste den dunklen Rauch im Küchentrakt bemerkt, weil sie so schlecht einschlafen konnte, seit Theresa den Rupertsberg verlassen hatte. Sie hatte die anderen sogleich geweckt und eine wohldurchdachte Menschenkette eingerichtet, die sich die Wassertröge zugereicht hatte und die Flammen schließlich ersticken konnte.
Der Schaden war nicht groß. Das meiste konnte Josch ausbessern, den sie zurate gezogen hatten; zusammen mit
seinem Neffen Peter mauerte er vorsorglich die Feuerstelle höher, die sie für den Brandherd hielten. Dennoch saß der Schrecken allen tief in den Gliedern, Hildegard wohl am tiefsten, denn nicht anders konnten die frommen Schwestern sich ihre erneute Hinfälligkeit erklären. Sie griffen auf die probaten Mittel zurück, Clementias Kochkunst, Hedwigs Vorlesestunden, Benignas Kräutermischungen - nichts von allem fruchtete. Steif wie ein Brett lag die Magistra da, aß nichts, trank nur, wenn ihr halb zwangsweise etwas eingeflößt wurde, und sprach kein einziges Wort.
Als der bedenkliche Zustand unverändert blieb, ritt Josch im Auftrag der Schwestern nach Mainz und kam zurück mit Hugo von Bermersheim, Hildegards Bruder. Nun saß der Kanonikus am Bett der Schwester, betete, hielt ihre Hand, strich ihr das Haar aus der Stirn, wie die Mutter es bei ihnen getan hatte, wenn sie als Kinder krank gewesen waren.
Aber auch den so ausgeglichenen Mann befiel allmählich Schwermut. »Ich kann ihr Dahinsiechen kaum noch mit ansehen«, sagte er zu Benigna, die unermüdlich mit Wermutwein und diversen anderen Mischungen zur Kräftigung experimentierte, um endlich eine Besserung zu erzwingen. »Es muss ihr etwas Schreckliches auf der Seele liegen, das sie so matt und krank macht.«
»Zwei große menschliche Verluste«, sagte die Infirmarin. »Und das Gefühl von Ohnmacht, das die geliebte Mutter mehr als alles andere verabscheut.«
»Doch nicht etwa immer noch Abt Kuno?«
»In seinen Augen braucht jedes Kloster einen männlichen Abt. Das Lebendige Licht jedoch hat der Magistra eingegeben, dass sie nur dem Erzbischof von Mainz verantwortlich sei.«
»Ich weiß, ich weiß«, rief Hugo. »Seit langen Jahren
zieht sich dieser Streit nun schon hin. Aber soll sie auch noch elend daran zugrunde gehen?« Er lief zurück zu der Kranken, warf sich halb über ihr bescheidenes Lager. »Sprich mit mir, Schwester!«, rief er. »Du musst leben, hörst du - leben! Wir alle brauchen dich doch so sehr!«
Es war, als ginge eine leise Bewegung durch die Kranke. Irgendwann schlug sie die Augen auf.
»Ich hab geträumt, ich muss zu Kuno«, hörte er sie flüstern. »Nur wenn ich diesen Weg beschreite, kann ich wieder gesund werden.«
Drei Tage später brachen sie gemeinsam zum Disibodenberg auf. Der helle Wahnsinn in Schwester Benignas Augen, die die gerade erst Genesende noch lange nicht aus ihrer Obhut entlassen wollte. Doch Hildegard stellte sich taub gegenüber all ihren Vorhaltungen.
»Wenn ich nicht gehe, werde ich sterben«, sagte sie kurz angebunden. »Dann habt ihr erst recht Grund zur Klage.«
Hugo hob sie auf sein Pferd, Bruder Volmar schloss sich ihnen auf dem Weißen an, um Hildegard sicher wieder zurückzubringen. Der Himmel schien ihrem Vorhaben gnädig zu sein, denn seit Tagen hatte es zum ersten Mal aufgeklart, und sogar ein paar zögerliche Sonnenstrahlen zeigten sich. Die Landschaft war schon wintermüde, kaum ein Blatt noch an den Bäumen, die Äcker braun und leer.
Seltsame Gefühle
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