Die Prophetin vom Rhein
»Sei doch keine Spielverderberin und sag einfach Ja!«
Weil Eva und Josch sie so aufmunternd anstarrten, rang sie sich schließlich doch ein kleines Nicken ab. Sie fühlte sich hundemüde. Die Schultern waren steif vom Wasserschleppen, die Beine schmerzten, weil sie unzählige Male treppauf, treppab gelaufen war. Geburtshilfe war ein anstrengendes Geschäft, das hatte Theresa längst am eigenen Leib erfahren.
Wie mochte es da wohl Eva ergehen, die ein ganzes Stück älter war und die meiste Arbeit leistete? Im Gegensatz zu ihr erschien sie Theresa so munter und ausgeruht, als sei sie gerade erst aus der Bettstatt geschlüpft.
Die Männer zogen sich in eine Zimmerecke zurück und begannen zu würfeln, während die beiden Frauen die Linsen verlasen, aus denen morgen Suppe gekocht werden sollte.
»Mach ihm keine langen Zähne und lass ihn dann im Regen stehen«, sagte Eva unvermittelt. »Das hat unser Peter nicht verdient. Ich hab ihn schon einige Male mit jungen Weibsbildern gesehen. Aber so vernarrt wie in dich war er noch nie.«
»Ich mag ihn ja, und ein guter Küfer ist er sicherlich auch, aber zum Heiraten reicht es trotzdem nicht, fürchte ich. Und wenn euer Neffe das nicht kapieren will, muss ich es ihm eben so oft sagen, bis er es eines Tages doch versteht.«
»Was stört dich eigentlich an ihm?«
Ungestümes Klopfen an der Tür enthob Theresa der Antwort, die ihr äußerst unangenehm gewesen wäre. Josch ging öffnen.
»Ihr müsst leider noch einmal los«, sagte er beim Zurückkommen. »Ein Notfall. Wehen hat sie schon.«
»Wer ist es denn?« Eva war bereits aufgestanden und griff nach ihrem Korb, den sie erneut mit den notwendigen Utensilien aufgefüllt hatte.
Ein weinendes junges Mädchen kam in die Küche gerannt. »Schnell, schnell«, rief sie, »um der Heiligen Jungfrau willen - beeil dich! Das Wasser ist schon abgegangen und ganz grün!«
»Du, Helene?«, rief Eva ungläubig, als sie erkannte, um wen es sich handelte.
Das Mädchen hob abwehrend ihre roten Hände. »Nein, nein, es geht um unsere Gerhild. Aber zu keinem Menschen auch nur ein einziges Wort - sonst geraten Mutter und Kind in allergrößte Gefahr!«
Niemals zuvor hatte Theresa die Wehmutter so schnell aufbrechen sehen, es war beinahe, als hätten Evas Füße auf einmal unsichtbare Flügel bekommen. Theresa musste sich anstrengen, um mit ihr Schritt zu halten. Ein kalter Wind blies ihnen entgegen, vermischt mit harten Regentropfen, die bereits halb in Schnee übergingen, sodass sie den Umhang mit klammen Händen auf der Brust zusammenhielten. Bingen schien wie ausgestorben. An solch einem unwirtlichen Abend würde man nicht einmal einen Köter vor die Tür jagen.
Durchnässt und atemlos erreichten sie schließlich ihr Ziel, ein windschiefes Häuschen nahe der Stadtmauer, dessen Dach nur notdürftig geflickt war.
»Da wohnt Gerhild?«, fragte Eva. »Ausgerechnet bei der alten Bürstenbinderwitwe, die selber kaum was zu beißen hat?«
»Sie musste zusehen, wo sie unterschlüpfen konnte«, sagte Helene. »Große Auswahl gab es leider nicht. Denn als sie damals nach Mainz weggelaufen ist, hat unser lieber Herr Vater sie für alle Zeiten verstoßen.«
Ein strenger Geruch schlug ihnen entgegen, als sie eintraten. Der kleine Raum war rauchig wegen der offenen Feuerstelle und alles andere als sauber. Auf einem provisorischen Bett lag Gerhild mit geschlossenen Augen, leise stöhnend. Eva stellte ihren Korb ab und ging zu ihr. Sie rieb sich die Hände, bis sie halbwegs warm geworden waren. Dann untersuchte sie eingehend Gerhilds Bauch.
»Wann ist das Wasser abgegangen?«, fragte sie die alte Witwe.
Trine zog die knochigen Schultern hoch. »Mag schon ein ordentliches Weilchen her sein«, murmelte sie. »Und gestunken hat es auch. So giftig grün, wie es nun einmal war.«
»Hilf uns!«, flüsterte Gerhild. »Hol mein Kleines gesund auf die Welt - bitte! Du sollst es nicht bereuen.«
»Das Kind muss raus!« Das war an Theresa gerichtet. »Und zwar so schnell wie möglich. Du weißt, was du zu tun hast.«
Theresa nickte. Plötzlich war jede Müdigkeit verflogen. Zum Glück hatte sie die Handgriffe in den vergangenen Wochen immer wieder geübt, sodass heute alles besonders schnell ging. Wasser zum Kochen bringen, saubere Leinenstreifen herauslegen, Evas rotes Schatzkästchen bereithalten, in dem sie ihre Kräuter und Spezialmischungen aufbewahrte, um Kreißende durch die allerschlimmsten Stunden zu bringen.
»Du musst schon fleißig
Weitere Kostenlose Bücher