Die Prophetin vom Rhein
über die Schulter zu Theresa. »Und du, schau genau zu! So etwas kann immer mal wieder vorkommen.« Die Wehmutter tauchte ihre Hände in eine Schale mit warmem Wasser. »Das darfst
du niemals zuvor vergessen«, sagte sie zu ihrer Lehrmagd. »Sauber und geschmeidig müssen die Hände sein, wenn du etwas zustande bringen willst.«
Dann schob sie ihre Hände so sanft wie möglich in den Muttermund. Die nächsten drei Wehen lang hielt sie die Füßchen kraftvoll zurück. Dann jedoch drückten sie sich unaufhaltsam heraus. Jetzt ließ Eva den Steiß steigen und umfasste den Rumpf.
»Pressen!«, rief sie. »So fest du nur kannst!«
Das Kind kam. Berthe schrie wie um ihr Leben, und Theresa staunte, als sie den dicken Kopf sah, der als letzter Körperteil das Licht der Welt erblickte.
»Du hast einen Riesen geboren!«, sagte sie beeindruckt, nachdem die Nabelschnur durchtrennt und abgeklemmt worden war und sie das Kind gesäubert hatten. Die Nachgeburt war schnell und leicht gekommen. Eva trug sie ans Fenster und unterzog sie dort einer eingehenden Prüfung. Ihrem Knurren war zu entnehmen, dass alles damit in Ordnung schien.
»Einen Riesen mit pechschwarzen Haaren«, sagte sie. »So wie dein Sohn sehen manche ja nicht einmal nach ein paar Wochen aus!«
Der große Kleine, inzwischen auf dem Bauch seiner Mutter, schien genau zu wissen, woher das Leben kam. Die Lippen fest um ihre Brustspitze geschlossen, begann er hungrig zu saugen.
Inzwischen war auch der Advocatus in die Bettkammer gestürzt, die Augen glasig, das schüttere Haar zerzaust.
»Ich bin der glücklichste Mann der Stadt!«, rief er. »Martin soll er heißen, nach unserem Heiligen, der ihn behütet und beschützt hat. Aber kundig aus seiner Mutter geholt hast du ihn. Das werde ich dir niemals vergessen, Wehmutter!«
Abwechselnd küsste er seine Berthe, der die gerade überstandenen Strapazen noch deutlich anzusehen waren, und den Kopf seines neugeborenen Sohnes. Auch Eva bekam ein paar seiner überschwänglichen Schmatzer ab, und nicht einmal Theresa wäre wohl von ihnen verschont geblieben, hätte sie sich nicht rechtzeitig in eine Ecke gedrückt.
Als die Frauen sich auf den Heimweg machten, klimperten in Evas Korb glänzende Silbermünzen.
»Ich glaube, jetzt verliert er bald ganz seinen Verstand«, sagte sie, zog zwei Münzen heraus und hielt sie Theresa hin. »Schon im nächsten Jahr soll seine süße Taube mit einem Mädchen niederkommen, das hat er mir beim Abschied ins Ohr geflüstert. Davor bewahre uns allerdings der Allmächtige! Denn wenn er sie derart weitermästet, werden wir bei der nächsten Entbindung wohl einen Kran brauchen. Ich hab ihm dringend ans Herz gelegt, dass er mit allem erst einmal denkbar langsam machen soll - mit dem ehelichen Beiwohnen ebenso wie mit dem Kindermachen.«
»Aber das ist doch viel zu viel!«, protestierte Theresa, die noch immer auf die Münzen starrte. »Du hast die ganze Arbeit erledigt. Ich war nur deine Handlangerin.«
»Was sich bald ändern könnte, wenn es nach mir geht.« Eva machte keinerlei Anstalten, die Münzen wieder einzustecken. »Du hast Talent und Einfühlungsvermögen und stellst die rechten Fragen zur rechten Zeit. Hast du außerdem nicht erst neulich gesagt, du möchtest dein eigenes Geld verdienen, um dem Kloster zurückzuerstatten, was es mir für dich vorgeschossen hat? Was redest du dann? Wer frei sein will, kann sich keinen dummen Stolz leisten.«
Theresa sagte nichts mehr dazu, nahm das Geld und
blieb auch den Rest des Abends auffallend stumm. Nicht einmal Evas wildem Bubentrio gelang es, sie zum Spielen oder Lachen zu bringen. Kaum hatte Eva ihre Sprösslinge ins Bett gesteckt, schob Peter seinen blonden Schopf herein.
»Will dich einladen auf Martini, Theresa«, kam er schließlich mit seinem Anliegen heraus, nachdem er eine ganze Weile herumgedruckst hatte. »Eine schöne fette Gans wirst du doch nicht verachten, oder? Das Schmalz, das sie hergibt, kannst du dir noch wochenlang auf dein Brot streichen.«
»Mach mir aber nicht besonders viel aus Gänsen und Schmalz«, sagte Theresa rasch, der sein stechender Geruch beim Kirchweihreigen ebenso unangenehm in Erinnerung geblieben war wie sein steifes Glied, das sie fordernd an ihrem Schenkel gespürt hatte. Als wäre sie bereits sein Eigentum.
Mit dem kleinen Wort »nein«, das Theresa jetzt immer öfter zu Peter sagen musste, schien er zunehmend Schwierigkeiten zu haben.
»Ach, komm schon, Theresa!«, rief er auch jetzt.
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