Die Prophetin vom Rhein
Doch in ihr war auf einmal alles wie zugeschnürt. Die beiden Männer waren dabei, eine Brandstiftung auszuhecken, um Hildegard in die Knie zu zwingen - und sie war scheinbar zufällig Zeugin dieses perfiden Plans geworden.
Oder war das etwa Gottes lang vermisste Stimme, die sie auf einmal in dieser schäbigen Schenke vernahm?
BINGEN - HERBST 1155
Es schien, als hätten die Frauen Bingens sich untereinander abgesprochen, möglichst zur gleichen Zeit niederzukommen.
»Jahr für Jahr gibt es im Herbst besonders viele Geburten«, sagte Eva stöhnend, als sie mit Theresa das Haus des Müllers verließ, dessen junge Frau gerade ihr zweites Kind zur Welt gebracht hatte. Dass es ein kräftiger Junge war, hatte alle zum Strahlen gebracht, denn nun war endlich der ersehnte Stammhalter da, auf den man sehnlichst gewartet hatte. Die kleine Hanna, gerade mal drei, ahnte wohl, was nun auf sie zukommen würde, denn sie brach in herzerweichendes Weinen aus, kaum dass ihr Brüderchen den ersten Schrei getan hatte. »Aber so viele wie heuer waren es noch nie. Man könnte meinen, der Sommer rege mehr zum Zeugen an, aber es ist die Kälte, die die Menschen näher zusammenrücken lässt.«
Theresa schien sie gar nicht zu hören. Ein Stück entfernt
hatte sie einen kräftigen Männerrücken in braunem Walkstoff entdeckt, der sich zügig in Richtung Judengass entfernte.
Willem?
Größe und Gang könnten stimmen, doch müsste dann nicht ihre innere Stimme jubilieren und ihr zurufen, dass nur er es sein konnte?
»Theresa?« Eva war stehen geblieben. »Wo bist du nur wieder mit deinen Gedanken? Bestimmt nicht bei der dicken Berthe, die wir nun entbinden müssen.«
Eine Niederkunft, die ihnen schon seit Wochen Unbehagen einflößte, denn Berthes Leib war dermaßen aufgetrieben, als brüte sie nicht nur ein kleines Wesen, sondern gleich ein halbes Dutzend Kinder auf einmal aus. Seit Wochen klagte sie über Atemnot und Kreuzschmerzen, die ihr das Schlafen nahezu unmöglich machten. Außerdem verließ sie das Haus kaum noch, weil sie ständig Wasser lassen musste. Ohnehin rundlich, hatte sie nach anfänglicher Übelkeit die späteren Monate ihrer Schwangerschaft offenbar zum ungezügelten Schlemmen genutzt. Eine der wenigen, die sich in Bingen das überhaupt leisten konnte, denn ihr Ehemann Hermann war Advocatus und damit einer der reichsten und wichtigsten Männer der Stadt. Ihnen gehörte eines der stolzen Steinhäuser an der Liebfrauengass, sie verfügten über Dienstboten und besaßen außerhalb Bingens noch weitere Anwesen. Der halbe Hausstand empfing Wehmutter und Lehrmagd schon aufgeregt an der Tür.
»Oben ist sie«, rief der Advocatus, ein schmaler Mann mit klugen, hellen Augen, die er immer leicht zusammenkniff, als blende ihn etwas. »Und leidet fürchterlich - wenn ich meiner süßen Taube doch nur helfen könnte!«
»Dafür sind ja wir jetzt da.« Eva nickte Theresa kurz zu,
die als Erstes den Mägden angab, was sie alles aus der Küche brauchten, während sie beherzt nach oben stapfte.
In der Schlafkammer erbrach Berthe sich gerade schwallartig in einen Holztrog. »Mit Speien hat alles angefangen«, röchelte sie, als sie schwerfällig wieder nach oben kam, kein einfaches Unternehmen bei ihrem riesigen Leib. »Und mit Speien geht es nun zu Ende. Befrei mich endlich davon! Ich bin der ganzen Last so unendlich überdrüssig!«
»Gemach, gemach!«, rief Eva. »Erst mal raus aus dem Bett mit dir! Wenn du liegen bleibst, verschwinden deine schönen Wehen womöglich wieder. Lauf lieber langsam hin und her, dann geht es einfacher weiter!«
Berthes Blick verriet puren Unglauben, aber sie hielt sich an die Aufforderung und quälte sich gehorsam voran. Von unten hörte man Advokat Hermann krakeelen, der offenbar gerade dabei war, seine Ängste zügig in Wein zu ertränken.
Zwischendrin ließ Eva die Gebärende innehalten und betastete ihren Bauch. »Es liegt nicht richtig«, sagte sie leise zu Theresa. »Es will mit den Füßchen zuerst auf die Welt, als ob es ein ungeborenes Kälbchen wäre. Wird noch einmal eine schöne Extraarbeit für uns.«
Nun kamen immer schneller hintereinander schmerzhafte Wehen. Berthe, inzwischen wieder auf dem Bett, schnaufte, schrie und schwitzte aus allen Poren.
»Ich kann nicht mehr!«, brüllte sie. »Und ich will auch nicht mehr. Hol es endlich! Sonst stürz ich mich aus dem Fenster.«
»Du tust jetzt, was ich dir sage«, verlangte Eva. »Dann hast du es bald hinter dir.« Sie schaute halb
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