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Die Prophetin vom Rhein

Titel: Die Prophetin vom Rhein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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überkamen Hildegard bei diesem gemächlichen Ritt zu dem Ort, der so lange ihr Zuhause gewesen war. Lang vergessene Bilder stiegen in ihr empor: die Gesichter der Eltern, die sie als Vierzehnjährige hierhergebracht hatten, das lebhafte Augenpaar Juttas, die für so lange Jahre ihre verehrte Lehrerin gewesen war. Richardis schließlich, die sie in diesen Mauern kennen und lieben gelernt hatte.
    Innerlich sehr bewegt, ließ sich Hildegard schließlich
von ihrem Bruder vom Pferd helfen. Der Mönch an der Pforte erstarrte, als er sie erblickte, dann freilich ging ein Lächeln über sein Gesicht.
    »Die Sonne ist zu uns zurückgekehrt«, sagte er, obwohl er Hildegard in all ihren Jahren als Inklusin kaum je gesehen hatte. »Gott sei mit dir, Prophetin vom Rhein!«
    Abt Kuno empfing sie in seinem Haus, ein stattliches, zweistöckiges Gebäude mit Räumen, die dreimal so groß waren wie ihre bescheidenen auf dem Rupertsberg.
    »Dein Brief«, begann er, »ich hätte längst schon …«
    Sie ließ ihn nicht ausreden. »Ich bin zu dir gekommen, Vater«, sagte sie statt einer Begrüßung, »weil ich nicht anders kann. Ich wollte warten, mich weiterhin in Geduld fassen, so wie du es mir viele Male befohlen hast. Doch leider ist das ganz unmöglich. Das Lebendige Licht schlägt mich mit immer neuem Siechtum, wenn ich untätig bleibe. Deshalb stehe ich heute hier, im Namen all der frommen Schwestern, für die ich verantwortlich bin.«
    Sie war ein ganzes Stück kleiner als Kuno und beileibe nicht mehr jung. Die Krankheit hatte sie gezeichnet und noch schmaler gemacht, als er sie in Erinnerung hatte. Und doch ging von der Gestalt im schwarzen Habit so viel Kraft und Stärke aus, dass er beeindruckt war.
    »Du wirst niemals damit aufhören, nicht wahr?«, entfuhr es ihm. »Hattet ihr nicht erst jüngst ein stattliches Feuer im Kloster zu bekämpfen? Diese betrübliche Nachricht ist bis zu mir gedrungen.«
    Hildegard neigte anmutig den Kopf. »Etwas sehr viel Größeres zwingt mich dazu. Ihm sind wir beide untertan - du und ich.« Sie rieb ihre Knöchel. »Es war übrigens kein großer Brand, du kannst ganz beruhigt sein. Dem Kloster ist nichts Schlimmes zugestoßen, und dank der Güte Gottes haben wir niemanden verloren.«

    »Dann ist also alles wie gewohnt?«, fragte er lauernd.
    »Wenn du so willst. Abgesehen von unserer Dankbarkeit, dass der Schöpfer uns im letzten Augenblick vor Übel und Not bewahrt hat. Die ist noch tiefer geworden.«
    Der Abt ließ die Schultern sinken. Einen Augenblick lang fürchtete sie, er werde sich einfach abwenden und sie ohne Antwort stehen lassen.
    »Du hast gewonnen«, sagte er nach einer Weile. »Ich werde mit Erzbischof Arnold sprechen, sobald das königliche Heer aus Rom zurück ist, und mit ihm beratschlagen, wie wir die Rückgabe der Mitgift am besten abwickeln. Dann gebührt dir mit Fug und Recht der Titel Äbtissin. Du kannst dich als Siegerin fühlen, Hildegard.«
    »Es gibt nur einen einzigen Sieger«, sagte sie ruhig, »wenn du dieses Wort schon gebrauchen möchtest. Das ist Gott, der Allmächtige, der all unsere Wege leitet.«
    Sie verbrachte eine kurze Nacht im Gästehaus, da der Rückweg am gleichen Tag zu anstrengend für sie gewesen wäre, und brach nach der Morgenandacht auf. Beim Abschied ergab sich noch ein kurzer Disput mit dem Abt, der plötzlich Volmar nicht mehr gehen lassen wollte, da er ihn angeblich gerade dringend für das hiesige Scriptorium benötige. Schließlich aber durfte der Bruder doch mit Hildegard zurückreiten, allerdings als freundlich gewährte »Leihgabe« auf Zeit, wie Kuno mehrmals beteuerte.
    Die unangenehme Szene warf einen Schatten auf Hildegards Seele und ließ den schönen Erfolg vom Vortag wieder verblassen. Hatte sie sich von Kuno blenden lassen? Durch vorgespieltes Entgegenkommen vorschnell einlullen lassen? Wieso gab er auf einmal nach, wo er ihr doch all die Jahre zuvor nicht einen Schritt entgegengekommen war? Schriftliches hielt sie nach wie vor nicht in der Hand, und dass die Meinungen der Menschen wankelmütig
waren, hatte sie in ihrem langen Leben oft erfahren. Dazu blies auf einmal ein scharfer Wind, der schon nach Schnee roch. Der Winter war nah und würde hart werden, das verkündeten diese zornigen Böen. Von ganzem Herzen wünschte Hildegard sich, endlich zur Ruhe zu kommen. Doch der Zweifel nagte bereits wieder an ihr.
    Müde und reichlich verfroren erreichten sie am frühen Nachmittag den Rupertsberg. An der Pforte begrüßte Donata

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