Die Prophetin von Luxor
vollkommene Dunkelheit. Nur der rhythmische Gesang einiger Arbeiter in einem anderen Raum ließ erahnen, daß dies keine gewöhnliche Höhle war. So standen sie, während sich Hats Lippen zu einem süßen, leidenschaftlichen Kuß auf seine legten, fest umschlungen in der Dunkelheit.
In ihrem gemeinsamen Grab.
Auf der Rückfahrt übernahm Senmut die Zügel, und Hat lehnte an der Brüstung. »Was ist, Geliebte?« fragte er. In ihren Augen standen Tränen.
»Ich habe an das Gemälde gedacht.«
Es war sein Werk, eine Vision ihres gemeinsamen Nachlebens, sein Geschenk an sie. Danach hatte sie ihn im dunklen Staub geliebt, langsam und geduldig, und genauso ehrfurchtsvoll wie beim ersten Mal, als er nach dem Tod ihres Gemahls und Halbbruders Thutmosis II. zu ihr gekommen war.
Der Gestank schlug ihnen entgegen, noch ehe sie das Wasser zu Gesicht bekamen. Die Frösche. Es war, als hätte Amun-Res Hand sie auf einen Streich berührt, so daß sie allesamt verendet waren - all die verschiedenen Rassen, in den verschiedenen Wachstumsstadien. Schon lebte neues Leben in ihren Kadavern, schon wuselten dort Maden und Fliegen, die sich in Windeseile zu einer tödlichen Epidemie auswachsen konnten. Senmut schlug die wimmelnden Fliegen mit der Lederpeitsche, seinem Amtszeichen, von seinem Gesicht weg.
Die Rekkit hatten die Kadaver zusammengefegt und ließen sie jetzt in der Sonne verrotten. Der Gestank verschlug ihnen den Atem. Senmut sah zu Hat hinüber und bot ihr sein parfümgetränktes Tuch an.
Sie sah ihn kühl an. »Ganz Ägypten muß leiden; wieso sollte ich meine Nase hinter einem parfümierten Fetzen verstecken? Fahr langsamer!«
Sie kamen durch zahlreiche kleine Dörfer am Nilufer, und in jedem lagen Haufen von verfaulenden Fröschen. Bis sie die Palasttore erreicht hatten, hatten sie sich an den Gestank gewöhnt.
GOSHEN
Die Teilnahme am Fest war Pflicht. In einem Versuch, die angegriffene Moral zu heben, hatte Thut eine berauschende Feier geplant. RaEm lag immer noch im Bett und mußte sich erholen, doch Cheftus Anwesenheit war offiziell erwünscht. Sein Blick wanderte von einem Tisch voller Adliger zum nächsten. Er war sicher, daß irgendeiner von ihnen Basha darauf angesetzt hatte, RaEm zu töten, ganz zu schweigen von ihrem ungeborenen Kind. Cheftu nahm einen Schluck aus seinem Becher. Wer war der Vater? Wo mochte er sein? War er geflohen? Verfluchtes feiges Schwein, dachte Cheftu. Sie erst zu schwängern und sie dann mit den Folgen allein zu lassen.
Er sah, wie ein Diener eintrat und Thut eine wunderschöne Glasphiole überreichte. Der Raum war voll und überall schmolzen Parfümkegel, deren süßer Duft sich mit Hunderten von frischen Blumensträußen mischte. Unter lautem Lachen und Zechen öffnete Thut das Gefäß, offenbar ein Geschenk, und leerte es aus.
Staub.
Cheftu sah die Körner noch durch die Luft wirbeln, als sie plötzlich zum Leben erwachten und vom Tisch ausschwärmten.
Adlige wie Sklaven begannen, nach den winzigen Insekten zu schlagen, um sie zu vertreiben.
Thut sah zu seinen Magiern hinüber. »Unternehmt etwas!« bellte er. Belhazar, bei weitem der fähigste unter seinen Magi, sah sich im Raum um. Niemand nahm mehr Notiz von den Speisen und Getränken, alle kämpften gegen die angriffslustigen Insekten.
»Prinz Thutmosis«, sagte Belhazar ruhig, »dagegen kann ich nichts tun. Dies ist wahrhaftig ein Fingerzeig Gottes.«
Thutmosis stand auf, worauf die gesamte Gesellschaft aufsprang, und schleuderte seinen goldenen Becher nach Belhazar. »Raus!« brüllte er. »Bis zur Morgendämmerung hast du Ägypten verlassen, sonst ist dein Leben verwirkt!«
Belhazar verbeugte sich tief und verließ den Raum. Thut ließ sich schwer in seinen Stuhl fallen. »Wir feiern, Freunde!« Das war ein Befehl. Cheftu beobachtete, wie sich die Adligen wieder setzten und zu essen und zu trinken begannen . um sich schlagend und sich kratzend.
Im Verlauf der Woche verwandelte sich die Mückeninvasion in eine Fliegenplage. Die Hitze war erbarmungslos, doch Chloe ging es zunehmend besser. Sie begann sogar zu glauben, daß sie überleben würde. Das Fieber nach der Fehlgeburt hatte sie völlig ausgezehrt, doch die blauen Flecken waren verblaßt, und die Wunden waren verschorft und verheilten. Die »andere« raste vor Wut über Bashas Falschheit, und Chloe hatte nach wie vor keinen Hinweis darauf bekommen, wer der Vater war. Inzwischen war sie gesund genug, um wieder ihren Pflichten als Priesterin nachzukommen.
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