Die Prophetin von Luxor
ändern. Aber ich glaube, daß ich meine Pflicht als Ratgeber Ägyptens erfüllen muß, indem ich es versuche. Thut wird mich nicht töten lassen. Ich stehe in der Gunst des Großen Hauses. Selbst er muß sich in acht nehmen, schließlich hat er es mit einem der Erbprinzen Ägyptens zu tun.«
Chloe sah ihm fassungslos zu. Er kniete bereits am Boden und schnürte seine Sandalen. »Was ist mit den Apiru? Sollen wir nicht mit ihnen fliehen?« wollte sie wissen.
Er hielt inne, senkte den Kopf und blickte zu Boden. »Die Antwort darauf ist nicht mehr so einfach, Chloe«, gab er zurück, und die Deutlichkeit, mit der er ihren Namen aussprach, jagte ihr einen Schauer über den Rücken. Er sah sie an, mit einem Blick wie flüssiges Metall in den goldenen Strahlen des Morgens. »Wir können uns später unterhalten, jetzt muß ich handeln.« Er faßte nach seinem schweren Gürtel.
Chloe schnappte sich ihr Gewand vom Boden. »Wir gehen gemeinsam oder gar nicht.«
Sein Blick tastete sie ab. »Wenn du Französin wärst, dann wärst du jetzt zu schwach von l’amour, um während einer Plage über Land reisen zu wollen.«
Sie wollte sich schon ereifern, doch dann bemerkte sie das Zucken in seinen Mundwinkeln. »Amerikanische Frauen sind härter im Nehmen.« Er half ihr, die Träger ihres Gewandes zu richten und ihren Kragen anzulegen.
Liebevoll gab er ihr einen Kuß in die Halsbeuge.
»Ich werde diese faulen Tage mit dir vermissen, Herrin. Was auch kommen möge, du sollst wissen, daß mein Herz dir gehört. Je t’aime.«
Sie lehnte sich mit dem Rücken gegen seine warme Brust und spürte ihr Herz im Hals schlagen. Cheftu gab ihr einen Kuß auf den Kopf, dann löste er sich von ihr und nahm seinen Umhang. »Cheftu, machen wir uns damit nicht völlig unglaubwürdig bei den Apiru? Wir werden uns fortschleichen müssen. Wir brechen mit ihren Traditionen, nachdem wir sie erst um ein Obdach angefleht haben.« Mit von zahllosen Hotelaufenthalten geschärftem Blick sah sie sich nach möglicherweise vergessenen Sachen um.
»Gehören diese Armbänder dir?«
»Sie sind eine kleine Entschädigung für jene, die ihr Leben für uns aufs Spiel gesetzt haben. Vielleicht werden sie es den Apiru ermöglichen, unseren gesellschaftlichen Fauxpas zu vergessen. Wenn sie uns nicht abreisen sehen, dann kann auch niemand sie fragen, wohin wir gegangen sind. Thut wird sie nicht bestrafen können.«
Theoretisch, dachte Chloe.
Die Tür ging direkt auf einen Innenhof, wo man sie sofort bemerken würde. Dieser Weg war ihnen versperrt. Cheftu trat ans Fenster und blickte hinaus auf den verlassenen äußeren Hof. »Das ist der einzige Weg.« Er gab ihr einen knappen Kuß.
»Ich werde dich so bald wie möglich nachkommen lassen.«
Sie sah aus dem Fenster. Es ging tief nach unten, doch in der abbröckelnden Hausmauer hatten sich Nischen und Spalten gebildet, in denen Hände und Füße Halt finden konnten. Sie zerrte energisch an ihrem Kleid und riß die untere Hälfte des Rockes ab, so daß er kurz über ihren Knien endete, dann schwang sie sich blitzartig über den Fenstersims.
Sie hoffte, daß sie nicht alles aus ihrem kurzen Kletterseminar vergessen hatte. Über ihr protestierte Cheftu aufgebracht aus dem Fenster heraus, doch sie war entschlossen, mitzukommen. Sie schob Hände und Füße über die Wand und tastete sich von einer Nische zur nächsten vor, bis sie nur noch mannshoch über dem Boden war. Sie ließ sich fallen und machte einen Purzelbaum, um den Aufprall mit einer Rolle vorwärts abzuschwächen. Cheftu landete dicht neben ihr, packte sie an der Hand und duckte sich in den halbdunklen Schatten des Gebäudes.
»Sollte ich noch etwas wissen?« zischte er. »Außer glace und deinen arachniden Neigungen?«
Sie huschten durch das Dorf, von einem Schatten in den nächsten flüchtend. Das leise Wiehern eines Pferdes lenkte Cheftus Aufmerksamkeit auf sich, und kurz darauf standen sie in einem Unterstand vor einer hübschen braunen Stute, aber ohne Streitwagen.
»Kannst du reiten?« fragte er auf französisch.
»Nicht besonders«, antwortete sie auf ägyptisch. »Diese Pferde sind nicht eingeritten. Ist das nicht gefährlich?«
»Nicht gefährlicher als alles, was wir sonst getan haben«, be-schied er sie trocken.
Cheftu legte die Arme um den Pferdehals und saß rittlings auf. Mit lautem Wiehern tänzelte die Stute durch den Stall, kam aber offenbar zu dem Schluß, daß sein Gewicht auch nicht schlimmer war, als einen Streitwagen ziehen
Weitere Kostenlose Bücher