Die Prophetin von Luxor
zu müssen.
Chloe sah zu Cheftu auf, eingeschüchtert angesichts des riesig wirkenden Tieres. Während sie sich nach einem Schemel umsah, von dem aus sie aufsteigen konnte, erklärte ihr die »andere«, daß die Ägypter nie auf ihren Pferden ritten. Wenn sie Cheftu so sahen, würden sie nicht mehr daran zweifeln, daß er ein Zauberer war. Er streckte die Hand herunter und zog Chloe mit einem Ruck, der ihn selbst fast vom Rücken des Pferdes geworfen hätte, auf den schmalen Platz hinter ihm, wo sie sich sehnsüchtig Unterwäsche wünschte, während sie die Überreste ihres Kleides zu arrangieren versuchte.
Das Pferd war nicht begeistert von den beiden Passagieren und begann zu bocken, um die ungewohnte Last abzuwerfen. Cheftu verwob seine Hände in die Mähne und preßte die Knie gegen den Rumpf des Pferdes. Chloe hielt sich mit aller Kraft bei ihm ein, während sie durch den Stall hoppelten. Die Stute trat mit einem Hufschlag die Wände des Unterstandes ein und galoppierte hinaus, Cheftu und Chloe auf ihrem Rücken. Unter den lauten Schreien der Apiru zog Cheftu den Kopf des Tieres zur Seite und lenkte es so in Richtung Avaris. Entschlossen, sich von der Last zu befreien, galoppierte die Stute los.
Als sie schließlich langsamer wurde, war Chloe vollkommen erschöpft. Cheftu hockte gekrümmt über dem Pferderücken und lenkte die Stute, indem er an ihrer Mähne zog. Das gefiel ihr gar nicht, doch Chloe wußte, daß es keine andere Möglichkeit gab, das Pferd zu leiten - es war nicht eingeritten. Sie brachen gerade aus dem überwucherten Dickicht und waren auf einer kleinen Straße angelangt, als Chloe auffiel, daß es Nacht wurde.
Wenigstens sah es auf den ersten Blick so aus, dabei stand die Sonne immer noch hoch am Himmel. Cheftu brüllte etwas über seine Schulter hinweg, das der aufbrausende Wind mit sich forttrug. Als er dem Pferd einen Schlag auf den Rumpf versetzte und es erneut lospreschte, konnte sich Chloe nur mühsam festkrallen. Der Wind begann zu heulen, wütend das Laub zu peitschen und Staub aufzuwirbeln. Als ein Blitz den Himmel zerriß, bäumte sich das Pferd auf. Chloe konnte sich mit letzter Kraft an Cheftu, ihrem Anker, einhalten.
Die Welt verwandelte sich in eine einzige Kakophonie, während der Himmel von Minute zu Minute dunkler wurde. Bald würden sie die Hand nicht mehr vor Augen sehen. Mit einem riesigen Paukenschlag öffnete sich der Himmel, und es begann zu hageln Chloe krümmte sich unter der Wucht der Naturgewalten zusammen und kauerte sich dichter an Cheftus Rücken. Zwischen dem strömenden Regen fielen auch kleine, erbsengroße Hagelkörner. Wundersamerweise traf sie kein einziges Hagelkorn.
Als sie auf eine breitere Straße einbogen, die nach Avaris führte, stockte Chloe der Atem. Überall brannte es, während der Hagel stärker vom Himmel fiel. Die Körner waren größer geworden; glühendheiße Steine von der Größe ausgewachsener Orangen prügelten auf die Bäume ein. Chloe sah die zerschun-denen Kadaver wilder Hunde auf den menschenleeren Straßen liegen. Cheftu steuerte das Pferd auf den Palast zu. Sie hielten direkt vor den Toren an, und er ließ sich vorn Rücken des Tieres gleiten, um Einlaß zu verlangen. Er drückte gegen das schwere Zederntor . das einfach aufschwang. Kein Soldat hielt Wache. Chloe sprang zu Boden, das Pferd bäumte sich auf und schlug mit den Hufen aus, dann ergriff es unter dem bleiernen Himmel die Flucht.
Chloe und Cheftu liefen auf den überdachten Gang zu. Sobald sie das schützende Dach erreicht hatten, warf sie einen Blick auf die plötzlich fremd gewordene Welt.
Die Hagelkörner waren nun noch größer: Chloe zweifelte nicht daran, daß es inzwischen einem Todesurteil gleichkam, wenn man getroffen wurde. Ihr fiel auch auf, daß beim Auftreffen der Hagelkörner kleine Flammenblitze über den Boden züngelten, die sich trotz der Luftfeuchtigkeit zu Grasbränden ausbreiteten. Sie schauderte, und Cheftu zog sie an seinen Körper.
Ohne daß ihnen jemand in den Weg getreten wäre, marschierten sie durch die verlassenen Gänge und Säulengalerien des Prinzenpalastes. Als sie vor dem Audienzsaal standen, konnten sie von drinnen Stimmen hören. Cheftu bedeutete ihr stehenzubleiben, und so lauschten sie schamlos der Unterhaltung.
»Ich kann nicht anders!« donnerte eine Stimme, die Chloe als jene von Thutmosis erkannte. »Allein in Avaris sind über hundert Menschen gestorben! Du mußt ihn herbeirufen! Ich habe keine andere Wahl!« Die Worte
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