Die Prophetin von Luxor
grüne T-Shirt gegen seinen mageren Leib. Ich blieb ein wenig benommen sitzen. Nicht einmal vor mir selbst wollte ich zugeben, daß ich enttäuscht war. Ich bin wirklich nicht leichtsinnig, aber wer kann schon einer Ferienromanze widerstehen? Er war schon fast über die Straße, als ich ihm nachrief: »Anton?«
Er drehte sich zu mir um, mit der Sonnenbrille vor den Augen und mit der Hand die Sonne abschirmend.
»Was für eine Zeit?«
Er legte eine Hand ans Ohr, und ich formte mit beiden Händen einen Trichter, ohne auf die Blicke zu achten, die ich mir damit einhandelte.
»Die Zeit! Die astrologische Zeit!«
Ich hörte seine Antwort, als hätte ich den Kopf unter Wasser.
»Die RaEmhetep«, brüllte er zurück. »Der Name für die elfte Nachtstunde.«
Mit einem gedankenverlorenen Winken kehrte ich zurück zu meiner Bank. Bizarr! Ich blickte auf die Kette, auf die winzige Gravur an der Seite. Die Schrift war noch genauso klar wie vor sechzehn Jahren. Das Silber hatte sich kein bißchen abgescheuert, obwohl ich mich nicht erinnern konnte, die Kette jemals abgelegt zu haben. So starrte ich auf den Nil und sann vor mich hin.
Die RaEmhetep.
Dann verbannte ich die Inschrift aus meinen Gedanken,
ebenso wie den so ungezwungen gutaussehenden Mann, der es vorgezogen hatte, mich nicht zu küssen.
Ich steckte meinen Skizzenblock und die Stifte ein und machte mich pläneschmiedend auf den Weg zum Tempel von Luxor.
Der Spiegel war vom Dampf meiner Dusche beschlagen, aber ich konnte genug erkennen, um zu wissen, daß ich überwältigend aussah. Aufgrund meiner langen Nase und des kantigen Kinns hatte mein Gesicht schon immer zu kräftig für meine blasse Haut gewirkt, aber das war nicht zu ändern.
Den langen schwarzen Rock mit Tank-Top und die gehäkelte Stola hatte ich keine sechs Stunden vor meinem Abflug gekauft. Die Sachen stammten aus meiner liebsten In-Boutique, ein warnendes Beispiel für die Risiken eines Impulskaufs. Ich legte mit dem Lippenstift etwas Kupferfarbe auf und kniff mich in die Wangen. Die trockene Luft wirkte Wunder an meinem Haar. Es fiel weich vom Scheitel bis knapp unter das Kinn, und in dem hellen Rot glänzten goldene und bronzene Highlights auf. Der Kontrast des schwarzen Outfits mit meiner rosa Haut ließ meine schrägstehenden Augen noch grüner und katzenhafter wirken. Ich fuhr mit der Zunge über meine frisch geputzten Zähne und stieg in meine Sandalen.
In der Lobby legte ich einen gebührend dramatischen Auftritt hin und würgte hastig meine Überraschung darüber hinunter, daß der charmante Rucksäckler nun Leinenhosen und einen Kaschmirpullover trug. Und eine Brille. Er gab mir einen Kuß auf die Wange und überreichte mir eine weiße Blume, dann machten wir uns zu Fuß auf den Weg.
»Reisen Sie eigentlich zum Vergnügen oder zum Spaß?« fragte ich.
Er lachte, während wir einer Gruppe bettelnder Kinder auswichen, ohne auf ihr »Bakschisch! Bakschisch!«-Geschrei zu reagieren.
Einen Augenblick lang sah er mich eindringlich an. »Zum
Vergnügen«, sagte er. »Ich bin Biochemiker und auf Hämatologie spezialisiert. Es ist ein sehr, wie sagt man, anstrengender Job? Deshalb läßt man mich jedes Jahr mehrere Monate lang Urlaub machen und reisen.«
»Mehrere Monate! Wow! Den Job würde ich mir warmhalten«, sagte ich. »Ich habe noch nie gehört, daß eine Firma ihren Angestellten monatelang frei gibt. Arbeiten Sie, äh, gern mit Blut?« Die bloße Vorstellung kam mir abartig vor.
Anton lachte.
»Aber ja.«
Enthusiasmus sprach aus seiner Stimme.
»Blut ist etwas Erstaunliches. Es ist die Essenz dessen, was wir sind, und wir brauchen es zum Leben. Dennoch haben wir praktisch keine Ahnung, welche Auswirkungen es auf die Lebewesen hat, wenn wir es modifizieren. Im Blut liegt das ganze Leben.«
Er mußte bemerkt haben, wie ich unwillkürlich schauderte, denn er erkundigte sich, was ich arbeitete.
»Ich arbeite frei, und zu meinem Glück wird die Firma, mit der ich zur Zeit einen Vertrag habe, von einer traditionsbewußten italienischen Familie geleitet, die das Geschäft vom fünfzehnten Dezember bis zum fünfzehnten Januar mehr oder weniger schließt.«
Vom Nil wehte eine kühle Brise heran, während tief über dem Horizont die ersten Sterne zu glitzern begannen.
»Wie kommt es, daß Sie ohne Gruppe reisen? Amerikaner reisen stets in der Gruppe, aber Sie sind allein? Vor allem zu dieser Jahreszeit?«
»Meine Schwester ist hier«, warf ich ein.
»Ach ja, Ihre Schwester«,
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