Die Prophetin von Luxor
brauchen wir für unsere Opfer an Elohim, und vor unserer Ankunft wissen wir nicht, was unser Gott von uns verlangt.«
Man konnte Hats gepreßten Atem hören. »Du gehst über Treibsand, Verräter. Wann wird diese Dunkelheit ein Ende nehmen?«
Schweigen, so düster wie die Dunkelheit, hüllte den Raum ein.
Moshe antwortete: »Jetzt.«
Als würde ein schwerer Mantel vom Fenster weggezogen, wurde es plötzlich hell im Raum. Die Sonne blinkte in den Gewändern der Adligen und wärmte das Alabaster an Mauern und Boden. Das riesige Gemälde eines Pharaos, der seine Feinde niederwarf, erglühte mit neu erwachtem Leben. Ein ehrfürchtiges Raunen erhob sich, als der Tag immer heller wurde, bis hinter den Fensteröffnungen der türkisblaue Himmel zu sehen war und Vogelgezwitscher voller Dankbarkeit die Luft erfüllte.
Cheftu kniff die Brauen vor der plötzlichen Helligkeit zusammen, bis sich seine Augen darauf eingestellt hatten. Drei
Ellen von Moshe entfernt stand Pharao, an deren Kostüm sich das Gold erwärmte und an deren hoher Doppelkrone die Juwelenaugen der Kobra und des Geiers zu glitzern begannen.
Ihre Augen weiteten sich, als sie ihren Halbbruder Ramoses sah, der einst Thronerbe gewesen war. Seine Mutter hatte sich so sehnlich ein Kind gewünscht, daß sie einen Knaben aus dem Nil geborgen und ihn als ihr eigenes Kind ausgegeben hatte, als sie trotz aller Gebete und des für Hathor errichteten Tempels ein totes Kind geboren hatte. Ramoses war doppelt so alt wie Hat, doch seine blendende Gesundheit strafte die weißen Strähnen in seinen Haaren und die Sonnenfalten um seine Augen und seinen Mund Lügen.
Schwarzer Blick traf auf schwarzen Blick und erstarrte.
Cheftu sah, wie Hat die zitternden Hände zu Fäusten ballte, nachdem sie Krummstab und Geißel auf dem Thron zurückgelassen hatte. Sie machte auf dem Absatz kehrt und stieg erneut die Stufen hoch, um sich auf dem goldemaillierten Sessel niederzulassen, wo sie mit beiden Händen die Symbole ihrer Macht ergriff.
»Höre, Sklave, wie mein Magus dich als Scharlatan entlarvt! Erst hast du den Prinzen gespielt, und nun spielst du den Erlöser?« In ihrer Stimme mischte sich Skepsis mit Ekel.
»Sprich, Iri!«
Iri erbleichte. »Seit vielen Jahren ist uns im Großen Grün ein riesiger Ausbruch geweissagt worden. Schon zweimal ist es seit dem Chaos zu einer solchen Katastrophe gekommen. Mit jeder katastrophalen Explosion sind Omen verbunden, die ihr, wie ich meine, sehr interessant finden werdet. Hört zu, wie sie sich auf Ägypten ausgewirkt haben.« Je mehr er sich für sein Thema erwärmte, desto weniger nervös wirkte er. »Die Strömung hat eine rote Pflanze zu uns gebracht, die das Wasser überzogen und die Fische getötet hat. Da das Wasser auf diese Weise verseucht wurde, sind die Frösche geflohen und an Land gewandert. Je giftiger das Wasser, desto mehr Frösche. Sie leben nicht lang, und sie haben nicht genug Nahrung gefunden, deshalb sind sie in Massen verendet und haben auf diese Weise die Insekten, die vielen Fliegen, Flöhe und Schnaken, die es in unserem Lande gibt, genährt und vermehrt.«
Cheftu blickte in Thuts düsteres Gesicht und las wachsenden Zorn darin. Iri fuhr fort: »Die Insekten haben das Vieh angesteckt, das daraufhin gestorben ist. Währenddessen haben sich draußen auf dem Meer die Winde gedreht, was bei uns zu ungewöhnlichem Wetter geführt hat. In diesem Fall zu einer Heuschreckenwolke, die dem Land auf höchst natürliche Weise Schaden zugefügt hat. Dann folgte der Hagel als Vorläufer der nächsten Katastrophe, die sich im Großen Grün ereignete. Der Vulkan spie schwarzen Rauch, Asche, Feuer und heiße Steine aus. All das hat sich mit dem Hagel vermischt, der zu entzündeten Stellen, Krankheiten und in manchen Fällen sogar zum Tod führte, als er hier fiel.«
Im Saal war es vollkommen still, während jeder Soldat, Priester, Adlige und Diener dieser Analyse der vergangenen Monate lauschte. Alles hätte sich so zutragen können, das war richtig. Doch einem Volk, dessen Leben so eng mit der Religion verknüpft war wie das eines Matrosen mit dem Wasser, fehlte in dieser Erklärung der göttliche Funke, der sie glaubwürdig machte. Jeder der Anwesenden hörte sich die Theorie an, erwog sie und verwarf sie schließlich.
Da die Götter über alles geboten, konnte dies nicht ohne ihre Zustimmung oder Einwirkung geschehen sein. Cheftu stand da und beobachtete Hats Gesicht. Die Religiösität ihres Volkes wäre ihr Untergang.
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