Die Prophetin von Luxor
ihre Pflicht getan hatten. Ihm war übel. Meneptah übergab sich auf den Boden, und Cheftu war so verzweifelt, daß es ihn kaum auf den Beinen hielt. Ameni versetzte dem Leichnam einen Tritt und schloß die Tür. Erschöpft führte er den kleinen Trupp nach oben und hinaus in die anbrechende Morgendämmerung . Sie hatten versagt.
Cheftu wurde von einem Klopfen aufgeschreckt, denn er fürchtete, daß Hat vor seiner Tür stehen würde. Doch dann besann er sich, daß sie höchstwahrscheinlich nicht erst anklopfen, sondern gleich die Tür eintreten lassen würde. Zu seiner Erleichterung kam Ehuru herein, gefolgt von Meneptah. Ohne ein Wort zu sagen, ließ sich Meneptah an Cheftus Tisch nieder und starrte auf das dünne Brot und den Wein darauf. Cheftu wandte den Blick ab. Das Schiff hatte ohne sie abgelegt. Chloe verschmachtete ohne Hoffnung auf Rettung irgendwo in den Tiefen dieses verfluchten Tempels, und Thut hatte vor einem halben Dekan eine Vertreterin der Schwesternschaft empfangen. Durch die Sanduhr in seinem Geist rieselte Korn um Korn. Bei Gott, es mußte doch eine Lösung geben!
»Kommst du mit uns, Herr?« fragte Meneptah und holte Cheftu damit in die Gegenwart zurück. »Wir können dein Wissen brauchen, und du könntest auf diese Weise das Land verlassen.
Vom Kai legen keine Boote mehr ab; das ist eine königliche Verfügung.«
»Ich kann nicht weg, ehe ich weiß, daß ich RaEm nicht mehr helfen kann. Ich muß noch mal versuchen, sie zu finden. Vielleicht wird sie nicht mehr so schwer bewacht, wenn man sie erst in die Wüste bringt.« Er klammerte sich an einen Strohhalm, das war ihm bewußt, doch er wagte nicht, weiterzudenken. »Eine Angehörige der Schwesternschaft hält sich hier in Avaris auf. Vielleicht könnte einer von uns sich für sie ausgeben .«
Meneptah schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht, daß sich die Angehörigen der Schwesternschaft beim Atum rasieren müssen. Das würde uns verraten.«
Cheftu zeigte den Schatten eines Lächelns. »Ja, natürlich.«
Sie saßen schweigend beisammen, als Ehuru eintrat, die Augenbrauen bis zur Perücke hochgezogen. »Eine Nachricht für dich, Herr.«
Es waren knappe Worte, in Makabs klarer Handschrift verfaßt. »Die Herrin ist auf dem Boot Göttin des Horizonts. Sie wird jetzt dorthin gebracht und wird dort bis Mitternacht mit nur zwei Sechmet-Priesterinnen als Wache bleiben. Danach wird die Hohepriesterin zurückkehren, und sie werden sofort Segel setzen. Ich wünsche Dir und der Herrin eine sichere Reise, wohin Ihr auch fahren mögt.« Wortlos reichte Cheftu die Botschaft an Meneptah weiter.
Der Israelit las sie durch und sah ihn dann mit furchterfüllten braunen Augen an. »Mein Herr, mein Freund. Du weißt, was heute nacht passieren wird! Du mußt in einem deiner Häuser bleiben, wenn dir nichts passieren soll. Du darfst kein Risiko eingehen!«
Cheftu sah ihn mit einem traurigen Lächeln an. »Ich wage es nicht, weniger zu tun.«
Chloe wurde hochgerissen. In ihrem Kopf dröhnte es, und der Zorn in der Stimme des kushitischen Wachpostens war nicht zu überhören. Die Tür zwischen den beiden Zellen ging auf, und Chloe stieg in eine kühle, klebrige Pfütze, bevor sie nach draußen trat. Man schnitt ihr die Fesseln von den Füßen, dann wurde sie den abschüssigen Gang hinaufgezerrt. Ein spitzes Messer im Rücken, erklomm sie eine Leiter. Sobald sie sich im eigentlichen Tempel befand, sah sie sich um. Der Wachposten schubste sie auf das Licht am Ende eines Ganges zu, und Chloe hätte beinahe vor Erleichterung geweint, als sie die Sonne sah. Sie war bereits im Sinken begriffen, doch zum ersten Mal seit
Tagen wurde es Chloe warm, und sie konnte ihr Los und ihren Hunger vergessen. Nur Cheftu nicht.
Sie biß die Zähne zusammen.
Man stieß sie grob auf einen Streitwagen, dann wurden ihre Hände um die breite Taille des Wagenlenkers gefesselt, der daraufhin mit ihr durch die ärmeren Viertel der Stadt auf das Flußufer zuhetzte. Der Duft von Blut und bratendem Fleisch hing in der Luft, und Chloe mußte kurz daran denken, wie oft sie für Nudeln oder Fisch auf ein Steak verzichtet hatte. Eine Sekunde lang blitzte das Bild eines durchgebratenen T-Bone-Steaks, einer dampfenden Folienkartoffel mit Sauerrahm und Käse, eines frischen Gartensalates und eines leichten Merlots in ihrem Kopf auf. Dann verblaßte die Vision wieder, die ihr inzwischen vorkam wie eine unwirkliche Filmszene, nicht wie ein Teil ihres früheren Lebens.
Die Sonne stand tief
Weitere Kostenlose Bücher