Die Prophetin von Luxor
strafen ...«
Ihr versagte die Stimme.
Cheftu sah sie tiefernst an. »Gott hat das nicht aus Bösartigkeit getan. Immer wieder hat er durch Moshe gesprochen, doch Thutmosis wollte ihm einfach nicht zuhören. Er hat sich so vor Hatschepsuts Zorn und ihrer Verachtung gefürchtet, er hatte solche Angst, sein Gesicht zu verlieren, daß er ständig seine Meinung geändert hat. Er hat mit Gott gehandelt und sein Wort nicht gehalten, Chloe. Thutmosis selbst hat wider besseres Wissen gehandelt. Außerdem«, dabei wurde sein Ton noch eindringlicher, »war Hat diejenige, die beschlossen hatte, die
Erstgeborenen der Israeliten als Geiseln zu nehmen. Gott hat ihr einfach ins Herz gesehen und Moshe darauf vorbereitet. Also hat Pharao selbst diese Plage über Ägypten gebracht, nicht Gott.«
Er blickte nachdenklich zu ihrer Vorhangtür hin. »So wie Thut viele Male bereits die Entscheidung getroffen hat, wann die jeweilige Plage enden sollte, so hat das Große Haus entschieden, worin diese letzte Tragödie bestehen soll, und zwar durch einen einzigen Satz aus ihren goldenen Lippen.«
Die Schreie um sie herum wurden schlimmer und schienen ständig lauter zu werden. Chloe preßte sich fester an Cheftu und betete inständig zu Gott, der ihr plötzlich als größte Macht im Universum erschien. Die ihr in einem Atemzug Cheftu nehmen konnte. Mit tränennassem Gesicht klammerte sie sich an ihm fest, voller Zorn auf und Furcht vor dem Engel, der ihr Cheftu vielleicht rauben würde.
»Wir erleben die biblische Geschichte«, sagte Cheftu mit belegter, fassungsloser Stimme. »Das größte Wunder kommt erst noch.« Schweigend saßen sie da, bis die Nacht um sie herum still wurde. Ein qualvoll naher Schrei brachte ihre Herzen wieder zum Klopfen. In Chloes Nacken stellten sich die Haare auf, als ihre notdürftige Tür in einer unvermittelt aufkreischenden Windbö wütend zu flattern begann. Ein Schmerz durchfuhr sie wie eine Sonde. Sie starrte in die Türöffnung und erblickte eine angstgebietende Erscheinung. Cheftus Körper spannte sich an, und Chloe versteckte voller Entsetzen ihr Gesicht an seiner Brust. Bestimmt hatten ihre Augen sie getäuscht!
Doch Cheftu atmete immer noch.
Die Nacht wurde wieder ruhig, und sie schliefen in den Armen des anderen ein. Als Cheftu aufwachte, schmerzten seine steifen Muskeln. Er stand auf, trat an die Vorhangtür und wagte einen Blick hinaus.
Der Himmel war samtschwarz, ohne daß irgendwo der Mond zu sehen war, doch im Osten konnte er den rosigen Schimmer der nahenden Morgendämmerung ausmachen. Chloe stellte sich zu ihm und drückte ihren angespannten, warmen Körper in der kühlen Nachtluft gegen den seinen. Kein Mensch war auf der Straße, und doch schien über allem ein sanfter Friede zu liegen.
Er zog die Umhänge herab, bemerkte dabei die Risse im Stoff, und nahm Chloes Arm, um sie wegzuführen. Sie gingen durch die kurvenreiche Gasse, ohne an irgendeinem Eingang Blutflecken zu entdecken. Sie gingen einfach weiter, doch an der Mündung der Straße drehte sich Cheftu um und sah zurück.
An jeder der nicht mit Blut gezeichneten Türen war ein sacht glühendes Zeichen zu sehen, als hätten die leuchtenden Klauen eines riesigen Raubtieres daran gekratzt. Neugierig eilte er zu ihrer Hütte am Marktplatz zurück. Kein Zeichen. Er lief ein paar Schritte in das Apiru-Viertel hinein. Keine Zeichen.
»Der Allgewaltige ist an uns vorübergegangen«, murmelte er vor sich hin, und mit neuer Kraft erfüllt lief er los, um zu Chloe und gemeinsam mit ihr zu dem warmen, wartenden Heim ihrer Freunde zu gelangen.
Schon waren die Straßen voller Menschen, die ihre wenigen Habseligkeiten zusammenpackten, während Moshe die Reich-tümer unter ihnen verteilte. In der Stunde vor dem Anbruch des neuen Tages hatte ein weinender und gebrochener Thutmosis der Versammlung der betenden Apiru den Leichnam seines erstgeborenen Sohnes gebracht. Thut hatte ihnen seine Schätze und die Spenden zahlloser Adliger überreicht und war dann davongegangen, um sein lebloses achtjähriges Kind Anubis’ Armen zu übergeben.
Chloe erblickte D’vorah und umarmte sie. Dann wurde Chloe von Elishava abgestellt, beim Beladen der Esel zu helfen und die Kinder einzusammeln, während Cheftu zu Meneptah stieß, um mit den Übrigen die Vorräte zu verstauen.
Moshe hatte die riesige Menge in zwölf kleinere Stämme aufgeteilt, die jeweils durch eine Farbe und Standarte repräsentiert wurden. Innerhalb jedes Stammes gab es zwölf Männer,
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