Die Prophetin von Luxor
Ausdrucksmöglichkeiten, der sich mit ihrem eigenen messen konnte. Er hatte phantastisch ausgesehen - Michelangelos David im schwarzen Anzug, mit breitem Lächeln und sanftem Gemüt.
Und so war sie entweder dank ihrer Stärke, Schwäche oder Feigheit immer noch Jungfrau.
RaEmhetepet hingegen nicht. Sie hatte ganz offensichtlich gegen die heiligen Gesetze ihrer Priesterschaft verstoßen. Sie mußte schon schwanger gewesen sein, bevor Chloe in ihre Haut geschlüpft war. Irgendein Kerl kannte demnach bereits die ganze Geschichte und wartete nur darauf, daß sie . was? Chloe schüttelte den Kopf, denn alles Grübeln führte ständig an denselben Punkt zurück. Die Verbannung war die Strafe für die Missetaten, die RaEm mit ihrem Geliebten begangen hatte. Aber wieso gab er sich nicht zu erkennen? Vielleicht gab es zu viele Möglichkeiten, als daß er wirklich sicher sein konnte? Wieder blitzten vor ihrem inneren Auge das Gesicht - das Blut, die Frauenhände auf.
Sie zuckte zusammen, weil sie Sandalen im Gang hörte. Verdammt, bin ich nervös, dachte sie, und hoffte, daß da nicht der zürnende Prinzregent heranrauschte. Er hatte ihr die Palette überbringen lassen, vielleicht hatte er ihr ja vergeben? Basha kam ins Zimmer, ein großes Tablett mit Obst, Bier und süßem Gebäck balancierend. Der bloße Anblick ließ Chloes Magen rebellieren, und sie wandte sich ab.
Später, während sie auf einem Tisch lag und sich mit nach Zitrone duftendem Öl massieren ließ, spürte sie eine winzige Bewegung tief in ihrem Inneren, minimal, wie das Beben einer durchsichtigen Hand und bezeichnend wie das Öffnen einer Tür ins Jenseits. Sie schickte die Sklavin fort, setzte sich auf und blickte fassungslos auf ihren braunen Bauch.
Es bewegte sich erneut. In ihr war Leben! Schützend deckte Chloe beide Hände auf den Bauch, während ein Schwall unbekannter, ungestümer Gefühle sie überflutete.
»Ich passe schon auf dich auf, mein kleiner Fremder«, flüsterte sie auf englisch.
»Irgendwie kriegen wir das schon hin.« Sie streichelte die feste Masse unter ihrer eingeölten Haut; sie fühlte sich an wie ein winziger Ball, der zwischen und über ihren Beckenknochen saß. »Ich werde dich beschützen«, flüsterte sie ehrfürchtig.
Kurz darauf saß Chloe vor ihrem Frisiertisch, als ein Besucher angekündigt wurde. Basha warf sich zu Boden, und Chloe beobachtete verwundert, wie eine zierliche Frau mit dem Gehabe einer Göttin ins Zimmer trat. Fünf weitere Frauen folgten ihr, alle gleichermaßen in weiße Umhänge und Silberkragen gekleidet.
Chloe stand auf, nahm die feine Hand, die ihr entgegengestreckt wurde, und durchforstete ihr Gehirn nach irgendwelchen Anhaltspunkten. »Leben, Gesundheit und Wohlergehen«, sagte sie, ehe sie in die Hände klatschte und Basha anwies, Stühle und Erfrischungen zu bringen. Ihr entging nicht die Überraschung auf einigen Gesichtern, als offensichtlich wurde, daß sie sprechen konnte. Basha kehrte zurück, erklärte den Apiru-Sklaven, wo sie Tische und Stühle aufstellen sollten, und stellte Wein und Obst darauf ab.
Die Führerin - Chloe konnte sich an keinen Namen erinnern
- hatte nicht aufgehört, Chloe anzustarren, und musterte ihre Erscheinung bis ins letzte Detail. In Anbetracht ihrer neuesten Entdeckung machte das Chloe ausgesprochen nervös.
»Meine Schwester hat sich erholt. Das erfreut mich ebenso wie unsere Mutter Hathor«, setzte die Frau mit tiefer, melodiöser Stimme an. »Heute abend wirst du deinen Dienst vor der Mutter wieder aufnehmen, RaEmhetepet.«
Chloe lächelte und versuchte, wenigstens nach außen hin Ruhe zu bewahren. Wie sollte sie der Mutter »dienen«? Wenn es schon heute abend soweit war, wie sollte sie sich darauf vorbereiten? Um Zeit zu gewinnen, nahm sie einen tiefen Schluck, während sich ihre Gedanken überschlugen. Eines der anderen Mädchen beugte sich vor, um der Führerin - wie hieß sie noch? - aus dem Umhang zu helfen, und Chloe verschluckte sich hustend.
An einer fein gearbeiteten Silberkette um ihren Hals baumelte Chloes silberner Ankh. Nicht Chloes, um genau zu sein, aber einer, der fast genauso aussah.
Als sich die Frau vorbeugte und um Wasser bat, konnte Chloe die Gravur auf ihrer Halskette lesen. »Kleine Sonne«, der Spitzname für fünf Uhr nachmittags. Chloe zwang sich zur Ruhe und sah sich um. Alle Frauen trugen die gleiche Kette, auch wenn Chloe nicht alle Namen lesen konnte.
Heiliger Osiris, dachte sie. Dann setzte schlagartig die Erinnerung
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