Die Prophetin von Luxor
spürte. »Wie kann ich dich im gleichen Atemzug begehren und verachten? Ich kenne dich so gut, und doch verzehre ich mich danach, mehr über dich zu erfahren. Hast du mich verzaubert?«
Als Chloe schwieg, ließ er die Hand sinken und verbeugte sich unvermittelt. »Ich wünsche dir einen guten Abend, Herrin«, sagte er und verschwand durch den dunklen Garten.
Chloe blieb stehen und versuchte, wieder zu Atem zu kommen, zu vergessen, wie sich sein begehrender Leib angefühlt hatte, und dabei keinen anderen Gedanken an diesen unglaublichen Abend zuzulassen.
Immer noch hielt sie Thutmosis’ Geschenk in der Hand. Langsam wickelte sie es aus.
Es paßte genau in ihre Hand. Die Farben waren immer noch feucht, und die feinen Pinsel lagen in der geschnitzten Mulde unter dem Deckel, auf dem eine Kartusche prangte. Seine Farbenpalette.
7. KAPITEL
Die Morgensonne kroch bereits über den bemalten Boden, als Chloe aus dem Schlaf hochschreckte. Bald würde Basha hereinkommen, um die Parfümierung des Mundes zu bringen. Gott sei Dank gab es nur Milch und Obst, denn allein die Erinnerung an Rührei, Speck und Kaffee ließ sie aus dem Bett springen und zu ihrem Nachttopf eilen.
Ein paar Minuten später lehnte sie mit schweißkaltem Gesicht an der weißgekalkten Wand. Lange genug hatte sie die Anzeichen ignoriert. Alles Wünschen der Welt würde nichts an den Tatsachen ändern.
Ganz offenbar war sie schwanger, und wenn diese ständige Übelkeit und Müdigkeit von ihrer Schwangerschaft herrührte, dann war Schwangersein beschissen. Chloe glaubte nicht, daß sie je in ihrem Leben soviel geschlafen hatte. Wer war der Vater? Wie ihre Mutter immer gesagt hatte: »Zum Tangotanzen braucht man zwei.«
Als Produkt größtenteils konservativer Länder betrachtete Chloe die sexuellen Sitten in ihrem eigenen Land mit einer Mischung aus Entsetzen und Fassungslosigkeit. Sie dagegen war noch Jungfrau. Die Entscheidung war nicht immer leicht
gewesen, doch sie hatte sie nie bereut.
Zum Teil war diese Entscheidung auf ihre persönlichen Umstände zurückzuführen. Ihre männlichen Schulfreunde waren meistens ebenfalls Soldatenkinder gewesen, die keine festen Bindungen eingehen wollten, da jedermann jederzeit mit einem einzigen Telefonanruf aus seinem gewohnten Leben gerissen werden konnte. Die Angst vor einer Schwangerschaft war sehr real. Unverheiratet ein Kind zu bekommen kam nicht in Frage; im Nahen Osten würde ein junges Mädchen in so einem Fall von ihren männlichen Verwandten umgebracht, da es den Familiennamen entehrt hatte. Ebensowenig wollte sie ihre Eltern beschämen. Sie erwarteten von ihren Töchtern nur das Beste.
Der Hauptgrund war allerdings Chloes Wissen, daß sie es nicht ertragen würde, so vertraut mit jemandem zu werden und ihn dann zu verlieren. Möglicherweise aufgrund ihres Lebensstiles hatte sie nie das Gefühl gehabt, daß ein sexuelles Verhältnis das damit verbundene Risiko aufgewogen hätte: sich nicht nur nackt auszuziehen, sondern auch das Herz zu entblößen, um danach den Laufpaß zu bekommen. Und nach allem, was sie von ihren Freundinnen und Cammys kurzlebiger Ehe wußte, schien dieses Ende unvermeidlich. Allein und sitzengelassen aufzuwachen würde sie umbringen, das wußte Chloe. Folglich ging sie mit Männern aus, amüsierte sich mit ihnen und behielt sie, statt mit ihnen ins Bett zu gehen, als Freunde. Vielleicht war das feige. Trotzdem war es für sie die einzig mögliche Lösung.
Nur mit Joseph war die Sache ernster gewesen. Joseph war ein Amerikaner italienischer Abstammung, den sie auf einer Studienfahrt durch Italien kennengelernt hatte. Er war orthodoxer Jude und studierte auf der Ponte Vecchio das Goldschmieden, ehe er seinen Platz im Familienbetrieb einnehmen wollte. Ihre Beziehung war weniger erotisch als romantisch gewesen. Picknicks (mit nichtkoscherem Essen), Spaziergänge durch die schmalen Straßen, ruhige Abendessen. Sogar Lyrik. Natürlich hatte es zwischen ihnen geknistert, doch er war bereits verlobt gewesen, darum hatten sie sich beide in Selbstbeherrschung geübt.
Ihnen war klar gewesen, daß ihre Beziehung keine Zukunft hatte, dennoch war Chloe bezaubert gewesen. Ihr ganzes Leben hatte sie Schlechtes über Israel und die Juden gehört, schließlich zählten Saudi-Arabien und die anderen arabischen Staaten, in denen sie aufgewachsen war, nicht zu den Fans Israels. Dann plötzlich war dieser Mann in ihrem Leben aufgetaucht, überlebensgroß und mit einem Durst nach Schönheit und
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