Die Prophetin von Luxor
Wassers. Obwohl es nur noch gefährlich wenig Leben darin gab, zeigte der Nil sein gewohntes schlammiges Blaugrün. Das Blut hatte nicht nur die Fische getötet, auch die Krokodile und ein Großteil der Wasservögel waren verhungert. Die übriggebliebenen Vögel wurden von den Ägyptern gejagt. Tolle Naturschutzmethoden, dachte Chloe ironisch.
Thut hatte drei Boote vorbereiten lassen und zusätzlich einige Höflinge und Soldaten eingeladen, damit genug Gäste an Bord waren. An jeder der goldenen Barken flatterte das rote Banner der Armee mit Thuts aufgestickter Kartusche. Stühle und Tische standen in Gruppen auf dem Deck und nahe einer geschützten Ruhenische, die durch ein Stoffdach von der sengenden Sonne abgeschirmt war. Der Proviant folgte auf einem eigenen Beiboot, und die Brise trug den Duft nach backendem Brot und frisch gebrautem Bier zu ihnen her.
Die Sieben-Uhr-Priesterin war ausgesprochen angetan von Cheftu. Chloe merkte das sofort und spürte zu ihrer Überraschung einen Stich - ich bin doch bestimmt nicht eifersüchtig. Ein schlanker junger Adliger gesellte sich zu Chloe, und Cheftu entschuldigte sich. Nachdem er sich eine Weinamphore geholt hatte, faltete er seinen großen Körper zu Sieben-Uhrs Füßen zusammen und flirtete nach allen Regeln der Kunst mit ihr.
Chloe konzentrierte sich auf den Mann vor ihr. Er war erst Mitte Zwanzig, doch die festen Linien seines Gesichts waren vom zügellosen Leben weich geworden. Er nahm ihr den Wurfstock aus der Hand und gab ihr einen sanften Klaps damit.
»RaEm, mein Lieblingsschützling. Du fehlst mir so, seit du nur noch mit Nesbek spielst. Darf sonst niemand mehr mit dir spielen? Oder willst du mich bestrafen, indem du andere deine Talente kosten läßt?« Seine Stimme war die eines greinenden Kindes, doch sein Blick jagte Chloe Schauer über den Rücken.
Noch einer von RaEms abgelegten Liebhabern. Pakab. Erneut versetzte er ihr einen Schlag mit dem Stock, diesmal weniger sanft. »Hat Bastet deine Zunge gestohlen?«
Als er den Stock zum dritten Mal erhob, fing Chloe ihn noch in der Luft ab. Pakab sah sie überrascht an, dann breitete sich auf seinem Gesicht ein schmieriges Lächeln aus, das seine vollen, sinnlichen Lippen noch weiter hervortreten ließ. Einen Moment lang lag ein Glitzern in seinen Augen. »Schon gut, Priesterin. In seiner «, er betonte das Wort, »Gegenwart sollten wir lieber mit offenen Karten spielen.« Pakab beugte sich vor und flüsterte ihr ins Ohr: »Es ist so schön, daß du wieder in Goshen bist. Bitte verzeih mir, ich kann es kaum erwarten, wieder mit dir zu spielen.« Er steckte seine Zunge in ihr Ohr, und Chloe zuckte zusammen, doch Pakab entfernte sich bereits, einen Arm um eine der älteren »Damen« am Hof gelegt.
Chloe spürte ReSheras Blick, und das Blut gefror ihr in den Adern, als sie den Tadel und das Entsetzen in den Augen der anderen sah. Chloe versuchte zu lächeln, doch ReShera wandte sich ab. Mit einemmal verdüsterte sich der wunderschöne Tag. Gelegentlich sah Cheftu zu ihr herüber, beinahe wie ein Kindermädchen, ansonsten konzentrierte er sich jedoch ganz und gar auf die eleganten Züge und ausdrucksvollen Hände von Sieben-Uhr. Chloe gab sich nicht einmal die Mühe, sich ihren Namen auf ägyptisch in Erinnerung zu rufen.
Thutmosis war der übliche Draufgänger und hatte den Wurfstock mehr in der Luft als in der Hand, während ihn die nackten Serviererinnen umschwärmten wie Bienen den Lotos. In regelmäßigen Abständen sah er zu Chloe hin, machte aber keine Anstalten, sich zu nähern.
Endlich begriff Chloe, was es bedeutete, ganz allein unter vielen zu sein.
RaEm beherrschte den Wurfstock nur mäßig - diese Information war problemlos abrufbar -, und Chloe hatte nicht den Mut, ihre Fähigkeiten auszuprobieren. Die ständige Schauspielerei, diese endlose Scharade, selbst die fehlende Unterwäsche machten ihr schon genug zu schaffen. Das Wissen, daß RaEm möglicherweise in ihrer Haut steckte und ihr Leben ruinierte . und jetzt mit einem Kind im Bauch . Chloe weigerte sich, den Gedanken weiterzuverfolgen. Irgendwann würde sie fliehen oder sich verstecken müssen. Als Hathor-Priesterin war es ihr nicht erlaubt, außerhalb des Ehegelübdes ein Kind zu bekommen. Natürlich hätte sie genaugenommen noch Jungfrau sein müssen, doch dieses Gesetz hatte man abgemildert, so daß sie jetzt nur noch während ihrer Zeit im Tempel »rein« bleiben mußte.
Chloe besah sich die anderen Priesterinnen, diese
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