Die Prophetin
hören.«
Catherine schwieg, als erwarte sie seinen Widerspruch. Da er nichts sagte, fragte sie: »Vater Garibaldi, was werden Sie tun, wenn der Vatikan erfährt, daß Sie mir helfen? Was werden Sie tun, wenn man Ihnen befiehlt, mich den Behörden auszuliefern oder mir die Schriftrollen wegzunehmen?«
»Ich bin der Kirche zu uneingeschränktem Gehorsam verpflichtet.«
»Sie haben meine Frage nicht beantwortet. Würden Sie zulassen, daß Sabinas Geschichte in den Archiven des Vatikans verschwindet und niemand etwas davon erfährt?«
»Sie können nicht voraussagen, daß dies der Fall sein wird.«
»O doch, genau das befürchte ich. Kardinal Lefevre, den man um eine Stellungnahme gebeten hat, traue ich nicht. Wenn Sie an seiner Stelle wären, und es würden Schriftrollen gefunden, die Maria Magdalenas Anspruch auf die rechtmäßige Nachfolge Jesu erhärten, würden Sie dann zulassen, daß diese Schriftrollen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden?«
»Wenn die Schriftrollen die Worte und Wünsche unseres Herrn Jesus Christus wiedergeben, dann würde ich das tun.«
»Dann gehören Sie zu den wenigen Ausnahmen, die es im Klerus gibt.«
»Dr. Alexander, was ist der Grund für die Bitterkeit, mit der Sie über die katholische Kirche sprechen?«
»Das ist eine lange Geschichte.«
»Glauben Sie noch an Gott?«
»Wie viele Menschen verwechseln ein Lippenbekenntnis mit ›Glauben‹, Vater Garibaldi?«
»Ich kann nur für mich sprechen«, erwiderte er. »Und glauben Sie?«
»Ja.«
»Wissen Sie, ich bin der Meinung, die Menschen klammern sich an die Kirche, weil sie auf Wunder hoffen.«
»Was ist daran so falsch?«
Sie blickte in seine klaren blauen Augen, aus denen so viel Ruhe und Seelenfrieden sprachen, obwohl sie in den vergangenen Stunden und Tagen auch überraschende Verwirrung darin gesehen hatte. Es waren die Augen eines widersprüchlichen Mannes, der darüber hinaus einen gefährlichen Kampfsport betrieb. »Ich glaube, ich sollte mich der Polizei stellen«, sagte Catherine plötzlich.
»Wie bitte? Nach allem, was Sie mir gerade erzählt haben?« Catherine trat an das Fenster und zog den Vorhang zurück. Der Wüstenhimmel war mit Sternen übersät.
So war es auch im Sinai, dachte Catherine. Die Wüste ist rein, nichts steht zwischen den Menschen und dem Himmel. Sie griff nach dem Jadeanhänger an ihrem Hals, denn er war eine Art Verbindung zu Daniel. Als sich ihre Finger darum schlossen, fielen ihr Sabinas Worte wieder ein:
›Meine Mutter glaubte an die Kraft eines Amuletts. Das Hermes-Kreuz wurde mir am Tag meiner Geburt um den Hals gelegt, und, liebe Perpetua, ich trage es noch heute über meinem Herzen. ‹
Vielleicht, dachte Catherine, hat ein Amulett wirklich eine besondere Kraft…
Sie glaubte, in der Jade Dannos Entschlossenheit zu spüren. Er hatte nie aufgegeben. Er schien sie auch jetzt anzuspornen, trotz allem weiterzumachen.
›Sünderin stand dort, Cathy‹, hatte ihr Danno sehr viel später einmal gesagt, als Catherine wissen wollte, was auf dem Schild stand, das Schwester Immaculata ihr um den Hals gehängt hatte, um sie vor der ganzen Klasse zu demütigen. Sünderin… Keinem der Kinder war die eigentliche Bedeutung dieses Wortes bewußt gewesen.
Catherine spürte Garibaldis Augen auf sich gerichtet. Er trug Jeans und ein kariertes Hemd. Das goldene Kreuz hing um seinen Hals. Neben dem Laptop lag das Brevier, in dem er in regelmäßigen Abständen las.
Auf dem Stundenbuch sah sie den Rosenkranz. Sie mußte unwillkürlich daran denken, wie Garibaldi mitten in der Nacht auf den Knien gelegen und gebetet hatte. Aber dabei entsprach seine Haltung nicht einem friedlichen Priester, der in glücklicher Harmonie zu seinem Gott sprach. Garibaldi schien mit Dämonen zu ringen. Sind es die Dämonen in den Pangamot-Stöcken? Sie zog den Vorhang zu und verließ das Fenster.
»Ich fürchte, je länger ich auf der Flucht bin, desto mehr Menschen werden darunter zu leiden haben…
zum Beispiel Julius. Er ist Wissenschaftler und ein friedfertiger Mann. Jetzt ist auch sein Leben in Gefahr.
Und…«
Sie brach plötzlich ab, denn im Fernsehen zeigte man ihren Grabungsplatz in der Wüste. Die Kamera schwenkte über Beduinenzelte und dicht gedrängte Menschen hinter einer Absperrung, die von Soldaten bewacht wurde. Jemand deutete auf einen Tunnel. Sie sah Samir und Mr. Mylonas. Schnell schaltete sie den Ton ein.
»Der Brunnen!« rief sie. »Sie legen den Brunnen frei!« ›Bisher haben
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