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Die Prophetin

Die Prophetin

Titel: Die Prophetin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: wood
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zu dem gemacht hatte, was er heute war.Vor dem Unfall war Zeke ganz einfach der hagere Tim Johnson gewesen, ein Schwächling, der in früher Jugend von zu Hause weglief und sich ziellos herumtrieb. Er wußte nicht, weshalb er überhaupt auf der Welt war oder was er mit seinem Leben anfangen sollte. Irgendwann wollte es jedoch das Schicksal, daß Tim in einer Bar am Stra-
    ßenrand des McKinley Highway in Alaska saß. Er hatte wie so oft zuviel getrunken und wollte sich aus dem Staub machen, weil es in der Bar zu einer Rauferei kam. Er war schon immer ein Feigling gewesen.
    Aber diesmal lief er nicht schnell genug.
    In der Ambulanz kam er wieder zu Bewußtsein. Er wußte nicht mehr, wer er war oder wer ihn zusammen-geschlagen hatte. Er bemerkte nur, daß ihn eine Krankenschwester nach den Funkanweisungen eines Arztes verband. Eine Woche später erschien der Arzt, der seine Visite mit einem kleinen Flugzeug machte. Er erklärte, nur ein Chirurg könne Tims Gesicht wieder menschliche Züge verleihen.
    Tims Erinnerung stellte sich erst dann wieder richtig ein, als er in den Spiegel blickte. Der Schock war groß. Wer war dieser Frankenstein? Das konnte unmöglich Tim Johnson sein, der als notorischer Feigling von allen verlacht wurde.
    Es dauerte nicht lange, bis er feststellte, daß die lange rote Narbe auf andere ebenso abschreckend wirkte –
    selbst auf die Krankenschwester, die ihn gepflegt hatte. Sie erschien stets mit einem Lächeln in der Tür, aber er merkte, daß sein Anblick ihr Angst einjagte.
    Nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus zog es ihn wieder in den Süden, und schließlich erreichte er Kalifornien. Er fand inzwischen Gefallen daran, in den Bars die Reaktionen der Leute zu beobachten. Die Frauen wichen ihm entweder aus oder sie kamen zu ihm. Harte Burschen erwiesen ihm erstaunlicherweise so etwas wie Achtung. Die Narbe schien Macht zu bedeuten. Auf jeden Fall wagte niemand mehr, sich mit ihm anzulegen. Da spürte Tim, wie etwas in ihm zu wachsen begann, als würde ein Samenkorn, das schon lange dort wartete, endlich keimen. Er dachte nicht daran, sich operieren zu lassen, sondern beschloß, eine Persönlichkeit zu werden, die dem neuen Gesicht entsprach. Er schnitt sich die jungenhaften, langen braunen Haare ab, rasierte und bleichte sie. Dann begann er, seine Muskeln zu trainieren, um sein gefährliches Aussehen durch einen entsprechenden Körper zu unterstreichen. Bald hatte er genug Kraft, um es mit allen aufzunehmen. Er wurde stark und schweigsam. Er faszinierte oder schüchterte ein. Aus Tim wurde Zeke.
    Irgendwann fiel ihm eine Ausgabe von Der Söldner in die Hand, und er wußte, welche Richtung er seinem Leben geben würde. »Noch mehr Kaffee?« fragte die Kellnerin, aber diesmal verschwendete sie keinen Blick an Zeke, sondern sah nur Raphael an Zeke war das gleichgültig. Die Kellnerin hatte es sich überlegt und ihre Entscheidung getroffen. Sie zog das Engelsgesicht von Raphael vor.
    Sie wußte allerdings nicht, daß es die falsche Entscheidung war. Zeke beobachtete, wie sie mit Raphael flirtete, den er in Südamerika kennengelernt hatte, wo sie beide eine gefährliche Fracht bewachen mußten.
    Als Zeke sah, wie die Kellnerin den Mörder mit den unschuldigen blauen Augen und dem blonden Lockenkopf ahnungslos anlächelte, schüttelte er sich beinahe. Wie konnten Frauen nur so dumm sein? Er, Zeke, war inzwischen hart und gefühllos. Aber das war nichts im Vergleich zu dem völligen Mangel an Menschlichkeit, mit dem Raphael zur Welt gekommen war. ›Raphael‹ war natürlich nicht sein richtiger Name. Er hatte Zeke einmal gesagt, er habe beschlossen, ein Killer mit dem Namen eines Engels zu sein.
    Zeke richtete seine Aufmerksamkeit auf das geschäftige Treiben auf der Straße hinter dem Fenster.
    Las Vegas, dachte er. Eine Stadt, die heißer ist als die Hölle. Hier war alles und jeder verrückt und unberechenbar. Und in diesem Monat schien sich Las Vegas selbst zu überbieten. Zeke hatte es bei ihrer Ankunft in der Stadt sofort gemerkt. In den letzten Tagen von 1999 lag eine besondere Spannung in der Luft. Die allgemeine Hektik verriet Angst, Unsicherheit und verzweifelte Hoffnung. Vielleicht stand wirklich der Weltuntergang bevor. Niemand wußte, wie und ob das Leben im neuen Jahrtausend weitergehen würde.
    Zeke hatte den Eindruck, daß alle, die nach Las Vegas gekommen waren, in diesem Sodom der Neuzeit noch einmal richtig feiern wollten. Die kleinen und großen Spieler schienen ihren

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