Die Prophetin
Mannes zuzuweisen. Das wurde nicht hingenommen.«
Catherine blickte auf den Laptop, als erwarte sie, daß dort eine Meldung erscheinen werde. »Vater Garibaldi, an keiner Stelle im Neuen Testament steht, daß Maria Magdalena eine Prostituierte war. Die Interpretation, die Maria Magdalena zur Prostituierten macht, läßt sich mehrere Jahrhunderte zurückverfolgen. Damals kämpften viele unterschiedliche Kräfte um die Macht in der Kirche. So wissen wir zum Beispiel, daß Maria Magdalena bis ins Mittelalter viele Anhänger hatte.«
»Die Tempelritter zum Beispiel«, sagte Garibaldi und nickte. »Richtig. Aber dadurch, daß der Klerus Maria Magdalena zur Prostituierten machte, nahm er ihr alle Würde und Macht. Man entriß ihr den wahren Status, der erste Apostel zu sein.« Garibaldi wiegte zweifelnd den Kopf. Catherine fuhr fort: »Das ursprüngliche griechische Wort ›Apostel‹ bedeutet, daß der Betreffende ein ›Augenzeuge‹ war und den Auftrag erhielt, die Botschaft zu verkünden. Auf Maria Magdalena trafen diese Kriterien zu, denn sie sah mit eigenen Augen das leere Grab und als erste den wiederauferstandenen Christus. Sie überbrachte den anderen die Nachricht von der Auferstehung.« Er seufzte. »Gut, Sie haben mich überzeugt. Aber was hat das mit dem alten Rechtsanspruch und einer Abdankung des Papstes zu tun?«
»Geduld! Ich wiederhole: Maria Magdalena hat als erste den auferstandenen Jesus gesehen. Er ist ihr als erstem Menschen erschienen, und sie wußte als erste, daß er wirklich von den Toten auferstanden war.
Streiten Sie das ab?«
»Nein.«
»Später hat allerdings Petrus Anspruch auf die Nachfolge Christi erhoben und sich an die Spitze der neuen Kirche gestellt. Er tat das mit der Begründung, er sei der erste gewesen, der den auferstandenen Jesus gesehen habe. Zweitausend Jahre lang haben Männer die Nachfolge Petri als Oberhaupt der katholischen Kirche angetreten. Ihre päpstliche Autorität basiert auf der Behauptung von Petrus. Aber in Wirklichkeit war diese Autorität gestohlen! Vater Garibaldi, können Sie sich vorstellen, was geschieht, wenn Schriftrollen gefunden werden, die beweisen, daß Maria Magdalena die Nachfolgerin von Jesus war, Schriftrollen, die älter sind als der Paulus-Brief an die Korinther? Und wenn in diesen Schriftrollen außerdem dokumentiert wird, daß Frauen unter den Frühchristen als ›Diakone‹, als richtige Priesterinnen, gewirkt haben? Dann wissen Sie, was für eine Wirkung diese Schriftrollen heute auf die Gläubigen in aller Welt haben werden. Meine Mutter sagte, das wäre nicht anders, als wenn jemand an die Haustür klopfen und sagen würde: ›Können Sie mir die Besitzurkunde für Ihr Haus zeigen?‹ Der Betreffende sieht sich die Urkunde an und zeigt dem
›Besitzer‹ eine Urkunde älteren Datums: ›Wie Sie sehen, gehört das Haus in Wirklichkeit mir. Ich habe einen älteren Anspruch darauf. Es tut mir leid, aber Sie müssen ausziehen.‹«
Catherine holte tief Luft und sah Garibaldi durchdringend an. »Deshalb glaube ich, daß Kardinal Lefevre und alle im Vatikan vor den Schriftrollen Angst haben.«
Lange Zeit blieb es still im Zimmer. Man hörte nur den Wüstenwind pfeifen. Schließlich sagte Garibaldi:
»Ich verstehe jetzt, warum Sie die Schriftrollen um keinen Preis aus der Hand geben wollen. Sie sehen es als Ihre Aufgabe an, das Werk Ihrer Mutter zu beenden.«
Ein Bild drängte sich ihr plötzlich auf, ein Zeitungsphoto ihres Vaters, der neben anderen vor Soldaten auf den Knien lag. Dieses Bild war seinerzeit in den Tageszeitungen um die ganze Welt gegangen.
»Meine Mutter brachte man zum Schweigen. Ich werde mir Gehör verschaffen, und mich wird man nicht zum Schweigen bringen. Ja, ich habe mich in diesem Fall über die Gesetze hinweggesetzt. Ich habe archäologische Funde aus Ägypten gestohlen und illegal ins Land gebracht. Aber ich bin der Meinung, das ver-antworten zu können. Manchmal muß man ein Gesetz übertreten, um das Richtige tun zu können. Wenn Sabina uns eine wichtige Botschaft übermitteln will, dann hat die Welt ein Recht, sie zu hören. Hätte ich diese Texte nicht an mich genommen, wären sie vielleicht in einem Archiv verschwunden wie damals die Schriftrollen vom Toten Meer, oder es hätte einen Kampf um die Berechtigung zu ihrer Übersetzung gegeben. Fälle, die vor den Internationalen Gerichtshof kommen, werden erst nach vielen Jahren entschieden.
Aber die Menschheit hat das Recht, Sabinas Worte jetzt zu
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