Die Prophetin
nicht leisten, so lange Online zu bleiben. Havers darf uns nicht finden.«
Sie sah ihn verzweifelt an. »Sie sind der Computerexperte. Was sollen wir tun?«
Er griff nach einer der Werbebroschüren, die neben dem Bett auf dem Fußboden lagen, und überflog sie.
»Ich glaube, es gibt eine Möglichkeit, im Internet zu bleiben«, murmelte er. »Aber es ist riskant.«
Catherine hörte ihn nicht. Wie in einem Alptraum, aus dem es kein Entrinnen gab, glaubte sie, in einem tiefen schwarzen Brunnen zu liegen. Der Himmel war unendlich hoch über ihr. Sie war gefesselt und konnte sich nicht bewegen. Sie konnte nicht fliehen. Dann glaubte sie, ihre Mutter kurz vor deren Tod zu sehen.
Vor ihren Augen wurde alles rot… Danno sank blutend zu Boden.
Er will mir helfen, dachte sie und glaubte zu ersticken. Verzeih mir, Julius, aber ich muß weitermachen…
Ich begegnete Satvinder auf dem Markt in einer Stadt, die so seltsam und so voller Wunder war, daß ich mich heute nach so vielen Jahren frage, ob ich das alles nur geträumt habe. Jedenfalls lernte ich Satvinder unter den merkwürdigsten Umständen kennen.
Eine Frau war auf dem Markt auf einen zerbrochenen Krug getreten. Die Scherben zerschnitten ihr die Fußsohle. Man trug sie zu einem Heiler, den sie ›Vaidya‹ nannten, was in Sanskrit, ihrer Sprache, soviel bedeutet wie: ›Er, der weiß‹. Aber der Mann wollte die Frau nicht behandeln. Als ich mich nach dem Grund erkundigte, sagte man mir, die Frau sei eine Prostituierte, und ein Heiler dürfe eine Sünderin nicht berühren. Ich dachte daran, Philos zu holen, aber das hätte eine Weile gedauert. In diesem Augenblick löste sich aus den Umstehenden eine in weiße Gewänder gehüllte Gestalt. Ich wußte zuerst nicht, ob es eine Frau oder ein Mann war. Aber an den Bewegungen und an den Augen erkannte ich, daß es sich um eine Frau handeln mußte. Sie beugte sich über die Wunde der Prostituierten und half der Frau so ruhig und gelassen, wie ich es von Philos kannte. Aus ihrem Gewand holte sie einen Beu-tel hervor, in dem sich drei kleine Krüge und ein in Leinen gewickelter Gegenstand befanden.
Die Menschen sahen ihr schweigend zu. Die Frau reinigte zuerst die Wunde mit einer Flüssigkeit aus einem der kleinen Krüge, dann murmelte sie etwas und schrieb geheimnisvolle Zeichen in die Luft.
Danach wickelte sie den Gegenstand aus dem Leinen, und ich sah, daß es eine Pinzette aus einem Reiherschnabel war, wie die Hindu-Heiler sie oft benutzen. Mit dem Instrument entfernte sie die ein-getretenen Tonsplitter. In dem zweiten Krug befand sich eine Salbe aus Myrrhe und Aloe, die ich am Duft erkannte. Aber im dritten Krug war das Erstaunlichste von allem. Die weißgekleidete Frau öffnete die Hand und ließ aus dem Krug vier große schwarze Ameisen kriechen. Die Umstehenden wichen ängstlich zurück, und ich hörte, wie sie sagten, die Bisse dieser Ameisen seien gefährlich und schmerzhaft. Die Ameisen taten der Frau in Weiß jedoch nichts, die unter rituellen Worten eine nach der anderen an die klaffende Fußwunde hielt. Die Ameisen packten mit den Greifzangen zu und verschlossen die Wunde wie Klammern. Nachdem alle vier auf diese Weise den Schnitt geschlossen hatten, trennte die Frau die Köpfe der Ameisen vom Leib ab und erklärte der Prostituierten, sie müsse die Greifzangen so lange an der Wunde lassen, bis sie verheilt sei. Dann könne man sie mühelos aus der Haut entfernen.
Die Umstehenden und auch ich staunten über die geschickte Behandlung der Wunde. Die junge Prostituierte dankte der Frau und lächelte glücklich über soviel Anteilnahme. Noch ehe man Fragen an die weißgekleidete Frau richten konnte, war sie wie ein Geist verschwunden.
Der achte Tag
Dienstag, 21. Dezember 1999
Las Vegas, Nevada
»Wie sind Sie zu der Narbe gekommen?«
Zeke sah die Kellnerin an, die ihn mit dieser Mischung aus Faszination und Abscheu musterte, die er inzwischen oft genug erlebt hatte.
»Ich habe sie bekommen«, erwiderte er kalt lächelnd, »weil ich meine Nase dorthin gesteckt habe, wo sie nichts zu suchen hatte.«
Raphael lachte und biß hungrig in seinen Riesen-Hamburger. Mit vollem Mund sagte er: »Jedesmal, wenn man dir diese Frage stellt, gibt du eine andere Antwort.«
Zeke sah der Kellnerin in dem hautengen Kleid nach und schnitt sich ein Stück von dem dicken blutigen Steak ab. Woher kommt diese Narbe? Das sollte heißen: Was ist geschehen, daß Sie so häßlich sind?
Niemand wußte, daß die Narbe Zeke erst
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