Die Prophetin
›Fabiana‹ dieses Textes in keinem Zusammenhang mit ›Sabina Fabiana‹ stehe. Der Dreizehn-Stunden-Flug nach Hawaii und zurück war demnach umsonst gewesen.
Miles haßte es, Zeit und Energie zu verschwenden.
Der Tiger in ihm wurde immer ungeduldiger und erinnerte ihn daran, daß ein Mann mit zweiundfünfzig keine Stunde zu verschwenden hatte.
›Das ist es eben‹, hatte sein Vater in einem der Gespräche zwischen Vater und Sohn erklärt, an die sich Miles aus seiner Kindheit erinnern konnte. ›Das ist es eben. Wir werden geboren, wir kämpfen um unser Überleben. Wir sterben. Dann kommt nichts. Keine Engel, kein Paradies im Himmel. Also nutze deine Zeit hier auf der Erde, bevor die Würmer dich fressen‹ Miles glaubte seinem Vater, dem Stunden und Tage wertvoller als Diamanten und Perlen gewesen waren. Der Tiger in ihm brüllte. Schweißtropfen standen ihm auf der Stirn. Woher nur kamen die düsteren Gedanken?
Lag es vielleicht wirklich an dem bevorstehenden neuen Jahrtausend mit all seinen Unwägbarkeiten, oder lag es daran, daß er die Fünfzig überschritten hatte? Machte sich jeder Mann Gedanken über sein Leben, wenn er sich in der zweiten Hälfte des Lebens auf das Sterben und den Tod vorbereiten mußte? Auch Erika hatte sich verändert. Ihm war nicht entgangen, daß sie in letzter Zeit beinahe wie in Panik nach etwas Un-bestimmtem suchte, nach etwas Spirituellem. Miles mußte sich in diesem Augenblick eingestehen, daß Erikas Bemühen, die Indianerkinder glücklich zu machen, in diesem Jahr irgendwie verlogen und hilflos wirkte.
Und ihm wurde plötzlich klar, daß solche Hinweise auf eine innere Unsicherheit bei Erika nicht neu waren.
Dafür gab es schon seit langem Anzeichen – Unruhe, Schlaflosigkeit, plötzliche Tränen, unverständlicher Ehrgeiz bei karitativen Projekten. Wie hatte er das alles nur übersehen können? Warum hatte er diese Hinweise nicht längst ernst genommen?
Ich war zu sehr mit mir selbst beschäftigt – mit mir und meinen Zielen.
Die vergangene Woche zeigte das deutlich. Er war so versessen, Catherine Alexander und die Schriftrollen zu finden, daß er kaum darauf achtete, was in seinem Haus geschah. Er überließ Erika die Familie und die Gäste, die Vorbereitungen für das Fest kurz alles, was mit seinem Privatleben zu tun hatte. Er wollte sich in der Illusion wiegen, alles sei in bester Ordnung. Erika zeigte ihm wie jeder in seiner unmittelbaren Umgebung immer nur die heitere Fassade. Niemand war ehrlich zu ihm oder brachte genug Vertrauen auf, offen mit ihm zu reden, geschweige denn, Unzufriedenheit und Ängste zu äußern. Und so wurde ihm auch Erika von Tag zu Tag fremder. Lohnte sich das alles?
Es würde nicht mehr lange dauern, bis die Polizei Catherine Alexander fand – die Polizei, die Journalisten oder das FBI. Wenn das geschah, besaßen die Schriftrollen für Miles keinen Wert mehr. Von unten drang das Lachen und Singen der Kinder zu ihm herauf.
Lohnt es sich eigentlich wirklich, den Schriftrollen hinterherzujagen?
In Stevensons Computer-Tagebuch stand ein sehr belastender Hinweis. Aber Miles tröstete sich. Selbst wenn der Computer mit dem Tagebuch in die falschen Hände geriet, konnte er die Behauptung als Verfolgungswahn eines paranoiden, mißverstandenen Archäologen abtun. Das beantwortete allerdings nicht die eigentliche Frage: Sollte er Catherine Alexander vergessen? Sollte er die Jagd abbrechen und diese Frau ihrem Schicksal überlassen, das sie ohnehin in den Untergang treiben würde? Miles mußte sich an diesem Morgen eingestehen, daß ihm die Vorstellung irgendwie gefiel.
Entschlossen verließ er das Büro. Er begab sich jedoch nicht sofort in das unterirdische Kommunikationszentrum, sondern verließ den Fahrstuhl im Erdgeschoß. Zu seiner Überraschung fand er Erika in einem der verglasten Bogengänge. Sie stand vor einem Kaktus und drückte ein Taschentuch an die Augen. »Liebling«, sagte er bestürzt und trat neben sie. »Was hast du?«
»Tut mir leid, Miles«, erwiderte sie schluchzend. »Ich wollte nicht, daß du mich so siehst. Es ist nur… die Kinder und alles. Es war einfach zuviel. Ich wollte allein sein, um meine Fassung wiederzufinden.« Sie trocknete sich die Augen. »Ich wünsche diesen Kindern so sehr, daß sie eine Zukunft haben.«
»Naturucn werden sie eine Zukunft haben«, sagte er beruhigend und drückte sie zärtlich an sich. »Warum denn nicht?«
»Kojote«, flüsterte sie erstickt.
Miles fragte leicht gereizt: »Wo
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