Die Prophetin
eine Gemeinschaft, wie ich sie aus Antiochia kannte. Sie glaubten an Frieden und Vergebung, sie begrüßten sich mit dem Friedenskuß, und ihre Symbole waren der Anker, der Fisch und das Kreuz. Doch ihre Vorstellungen vom Kosmos unter-schieden sich sehr von dem, was man mich gelehrt hatte. Für sie war das Universum sehr viel viel-schichtiger und größer.
»Der Gerechte hat von vielen Wohnungen gesprochen«, sagten sie als Erklärung. »Und das hat er damit gemeint.« Ich traf Priscilla, den Diakon der Gemeinde, und sie sprach davon, daß der Gerechte uns gesagt habe, der Tod sei eine Illusion, und das Leben könne ewig dauern, wenn wir nur glauben.
In der Gemeinde hörte ich auch zum ersten Mal von der Prophezeiung der tausend Jahre. Man sagte, sie seien der Beginn eines neuen goldenen Zeitalters auf Erden. Andere behaupteten, es handle sich um die tausendjährige Herrschaft Satans, während wieder andere erklärten, damit seien die tausend
]ahre der Herrschaft des Gerechten auf Erden gemeint.
In diesem Punkt herrschte keine Einigkeit. Es gab sogar einige, die sagten, die tausend Jahre würden erst dann beginnen, nachdem wir gestorben sind: »Wir schlafen ein Jahrtausend, dann kommt das Jüngste Gericht, und wir erwachen aus dem Schlaf und gelangen zu unserem Schöpfer«, erklärte mir Priscilla. Ich traf die Jünger eines Mannes, den sie Buddha nennen. In ihrer Sprache bedeutet das ›der Erleuchtete‹. Er wurde von einer jungfräulichen Mutter namens Maja geboren. Er sagte: »Sei dir selbst Zuflucht und halte an der Wahrheit als Licht fest.« Die Buddhisten von Alexandria sind Missio-nare und versuchen, neue Anhänger ihres Glaubens zu gewinnen. Sie gehen auf den Marktplatz und fragen die Vorübergehenden: »Suchst du nicht ein Licht, du, der du von Dunkelheit umgeben bist?«
Sie glauben an ein Weltgericht. Dann wird Buddha auf die Erde zurückkommen, und das bedeutet das Ende aller Dinge. Er wird die Guten belohnen, die Bösen bestrafen, und es wird eine neue Schöpfung geben.
Wenn Buddha sagt, er wird wiederkehren, und der Gerechte sagt, er wird wiederkehren, bedeutet das, so fragte ich mich, daß der Gerechte auch in Indien gelehrt hat?
Wir machten eine Reise, um Ägypten zu sehen, und fuhren nil-aufwärts. In der alten Stadt Sais besuchten wir den Tempel der Göttin Isis, der Himmelskönigin, um ihr zu huldigen. An den Wänden des Tempels lasen wir die Worte, die vor tausend Jahren dort eingeritzt worden waren.
»Ich bin alles, was war, was ist und was sein wird. Ich bin der Anfang und das Ende.«
Ich war damit beschäftigt, die Botschaft vom Weg des Gerechten zu verbreiten, mein Wissen und mein Können bei der Geburtshilfe weiterzugeben und unbekannte Heilmethoden zu erläutern, die ich in Indien gelernt hatte (in Alexandria hatte noch niemand davon gehört, daß man bei Schlangenbissen die behandelte Wunde mit Klemmen verschließt, und die Leute staunten über die Erfolge, die man damit erzielt).
Philos sah sich in der Stadt um. Er hoffte, eine Spur zu finden, die ihm den Weg zu der uralten Formel weisen würde, die das ewige Leben schenkt. Er sprach mit gelehrten Männern und verbrachte Wochen und Monate in der großen Bibliothek; er beriet sich mit Priestern und Priesterinnen, frommen Männern und weisen Frauen, mit Sehern und Seherinnen. Aber, meine liebe Amelia, ich werde Alexandria vor allem deshalb nicht vergessen, weil ich in dieser Stadt endlich die Liebe kennenlernte.
Der zehnte Tag
Donnerstag, 23. Dezember 1999
Las Vegas, Nevada
»Jemand wie ich muß nur nach Las Vegas kommen, und schon gewinnt er den Jackpot«, sagte Zeke, als er Raphael wie besprochen in der Mz’nos Taverne im Hotel Atlantis traf. Raphael mußte sich vom Anblick der spärlich bekleideten Kellnerinnen losreißen, die an diesem sonnigen Morgen den durstigen Gästen bereits die ersten Bloody Marys und Screwdrivers servierten. »Du hast also den Priester gefunden?« fragte er.
Zeke lächelte vielsagend.
Nachdem seine Erkundigungen an der Rezeption erfolglos geblieben waren, hatte Zeke beschlossen, sich mit Zimmerkellnern und Zimmermädchen zu unterhalten, denn er sagte sich, sie wüßten ohnehin am besten über die Gäste Bescheid. »Und ob ich ihn gefunden habe«, erwiderte Zeke. »Ein Kellner vom Zimmer-Service sagt, es gibt einen Pfarrer, der immer Essen für zwei bestellt. Aber er hat die andere Person noch nie gesehen. Er meint, es könnte eine Frau sein. Ich habe ihm ein gutes Trinkgeld gegeben. Wenn der
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