Die Prophetin
keine andere Wahl, als zu schweigen.«
»Was sollten Sie tun, nachdem ich die siebte Schriftrolle gefunden hatte? Sie mir wegnehmen?«
Er schüttelte den Kopf. »Nur Bericht darüber erstatten.«
»Haben Sie eine Vorstellung, wie mir im Augenblick zumute ist? Ich komme mir vor, als sei ich mißhandelt worden, benutzt und betrogen. Noch schlimmer, ich fühle mich verraten!«
»Es tut mir leid«, wiederholte er und sah sie traurig an. »Geben Sie mir den Computer.«
»Catherine, ich möchte bei Ihnen bleiben.« Sie streckte die Hand aus. »Er gehört mir. Geben Sie ihn mir.«
Als er ihr den Computer gab, sagte sie: »Sie werden nicht bei mir bleiben. Es ist mir egal, wohin Sie gehen
– vielleicht zurück zu Ihrer Gemeinde in Chicago. Ich bin sicher, dort vermißt man Sie. Ich werde Sie jedenfalls nicht vermissen.« Sie drehte sich um, ging in ihr Zimmer und schloß die Tür.
Es klopfte leise, und Catherine blickte auf die Uhr. Es war eine halbe Stunde her, seit sie Garibaldi die Tür vor der Nase zugeschlagen hatte – dreißig Minuten, in denen sie versucht hatte, nicht zu weinen und trotz der maßlosen Enttäuschung ihr Ziel nicht aus den Augen zu verlieren. »Bitte lassen Sie mich in Ruhe«, sagte sie.
Aber es war die Äbtissin. »Dr. Alexander, Sie haben einen Besucher.« Catherine öffnete die Tür. Als sie Julius im Gang stehen sah, warf sie sich weinend in seine Arme. »Julius! Du hast mir so gefehlt!«
schluchzte sie und hielt ihn fest. »Garibaldi… die Inquisition und…«
Die Äbtissin räusperte sich diskret.
»Mutter Oberin«, sagte Catherine und trocknete sich mit dem Handrücken die Tränen, »das ist mein Verlobter, Dr. Voss.«
Die Äbtissin musterte ihn ruhig. »Ich nehme an, Sie werden ebenfalls ein Zimmer brauchen…«
Catherine nickte. »Wenn es nicht zu große Mühe macht.«
»Vater Garibaldi ist an diesem Ende des Gangs, Dr. Voss kann das Zimmer am anderen Ende haben«, erwiderte die Äbtissin.
Catherine zog Julius in ihr Zimmer und schloß die Tür. »Du hast keine Vorstellung, wie glücklich ich bin, dich zu sehen!« Er starrte sie an. »Wie siehst du denn aus?« Er berührte die kurzen weißblonden Haare.
»Findest du es so schrecklich?«
»Nein… anders!«
Sie küßten sich lange, und als sie sich voneinander lösten, sagte Julius lächelnd: »Ich glaube, in einem Kloster schickt sich das nicht.«
»Wir bleiben nicht hier, aber ich bin so froh, daß du hier bist, Julius.«
Jetzt würde alles gut werden. Jetzt würde sie die Kraft haben weiterzumachen.
»Es war ein Alptraum, Catherine. Wenn ich die Bilder von dir in den Zeitungen und im Fernsehen gesehen habe… ich dachte, ich würde verrückt werden.«
Er legte den Arm schützend um sie und drückte sie an sich. »Julius, ich habe die Handschrift des Thomas von Monmouth gelesen. Wie hast du sie eigentlich gefunden?« Er erzählte es ihr, und sie lachte. »Ich habe meine ganze Hoffnung auf das Internet gesetzt. Da sieht man es wieder. Die Technik hat ihre Grenzen, und am Ende ist das Wissen eines Gelehrten wie Rabbi Goldman zuverlässiger.«
Er sah sich in dem einfachen Zimmer um. Der Computer lag auf dem Bett, seine blaue Tasche stand auf dem Boden. Auf dem Tisch enteckte er sein Buch Die Leiche im Moor, aber er wußte, daß es sich in Wirklichkeit um die Schriftrollen handelte. »Ich wünschte, wir könnten sofort gehen.« Er seufzte und schüttelte den Kopf beim Gedanken daran, wie Catherine in den vergangenen zwei Wochen gelebt haben mußte.
»Aber wahrscheinlich ist es besser, wenn wir bis morgen früh bleiben.«
»Wir können nicht weg, Julius, zumindest so lange nicht, bis wir wissen, wohin Sabina uns als nächstes führt. Ich werde vielleicht ein paar Tage für die letzte Schriftrolle brauchen. Aber hier sind wir sicher, niemand wird uns finden.«
»Catherine, wir bleiben nicht hier«, sagte er mit gerunzelter Stirn. »Wir fliegen nach Kalifornien zurück.«
Sie sah ihn verständnislos an. »Nach Kalifornien? Warum sollte ich nach Kalifornien fliegen?«
»Weil Thomas schreibt, daß Sabina in Britannien gestorben ist, und daß es keine siebte Schriftrolle gibt. Es hat keinen Sinn, weiter danach zu suchen.«
»Aber… ich dachte, du hättest mich hierher geschickt, damit ich meine Suche fortführen könnte, und nicht, damit ich sie abbreche. Thomas von Monmouth kann sich geirrt haben.«
»Ich verlange nicht, daß du deine Suche abbrichst. Hör zu«, sagte er und faßte sie an den Schultern, »ich habe
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