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Die Prophetin

Die Prophetin

Titel: Die Prophetin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: wood
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der Hekate-Priesterin in der Nacht meiner Geburt. Sie hatte von einem ›Bergaus Wasser‹ gesprochen und gesagt: › Wenn sich das Meer in den Himmel erhebt…‹
    Als das Schiff sank, galt mein letzter Gedanke meinem Sohn und meinem Mann.

    Der sechzehnte Tag

    Mittwoch, 29. Dezember 1999

    Ich weiß nicht, wie es kam, daß ich überlebte oder wie ich ans Ufer gelangte. Aber als ich aufwachte, lag ich auf einem felsigen Strand, und über mir schien schwach die Sonne. Auf den Steinen lagen die Leichen von Menschen, mit denen ich gereist war. Ich sah tote Pferde, Schweine und Hunde. Ich suchte das schreckliche Ufer zwei Tage und eine Nacht lang ab, fand aber keine anderen Überlebenden.
    Ich blickte über die Inseln, die verstreut vor dieser Küste liegen, und fragte mich, wie viele meiner Mitreisenden sich in der gleichen Lage befinden mochten. Ich suchte nach Mitteln und Wegen, um ein Feuer zu entzünden und so ein Signal zu geben, und ich hielt Ausschau nach Rauchsignalen von den fernen Inseln. Aber ich sah weder Rauch noch ein Feuer. Als die Sippe mich fand, war ich völlig entkräftet und hatte hohes Fieber. Sie brauchten Monate, um mich gesundzupflegen, dann wurde es Winter. Die Sippe verläßt ihr Winterlager nie, und so mußte ich, eine Außenseiterin, mit der niemand sprach, im Lager bleiben. Aber ich bekam zu essen und lebte warm und trocken im Haus einer Frau, die sich über meine Gesellschaft zu freuen schien.
    Ich hätte vor diesen Barbaren aus dem Norden entsetzliche Angst haben sollen, denn sie hatten die Alp träume meiner Kindheit bevölkert. Aber der Schock hatte mich so betäubt, daß ich keine Angst empfand. Es war, als sei alles in mir zusammen mit meinem Mann und meinem Sohn gestorben. Als der Schnee schmolz, als gesät und gepflanzt wurde und die Männer auf die ]agd gingen, kam ich allmählich wieder zu Kräften, und meine Erinnerung kehrte zurück. Ich bat darum, zu den Römern gebracht zu werden. Aber sie gaben mir durch Gesten und mit in die Erde geritzten Zeichnungen zu verstehen, daß wir uns weit entfernt von allen römischen Vorposten befanden, und daß feindliche Stämme das Gebiet zwischen uns und der römischen Grenze durchzogen. Die Sippe wollte ihre Sicherheit nicht meinetwegen gefährden, und man ließ mich auch nicht allein ziehen. Also konnte ich nur bleiben und abwarten.
    Ich mußte immer wieder an die Geschichten denken, die mir meine Amme als Kind erzählt hatte, und an die Berichte über die schreckliche Grausamkeit der Barbaren. So blieb ich für mich. Aber ich war auch neugierig, denn diese freundlichen Menschen entsprachen nicht ganz den Ungeheuern meiner Vorstellung. Sie sind zwar groß, viele haben rotgoldene Haare und wilde blaue Augen, aber es sind ruhige Menschen. Sie reden und lachen, pflanzen Korn und ziehen ihre Kinder groß, und sie lauschen den Geistern der Winde.
    Ich stellte fest, daß ihnen die Gastfreundschaft heilig war: Es galt als ein Verbrechen, jemandem, der zu ihnen kam, die Tür zu weisen. Alles wurde bereitwillig geteilt: der Herd, Nahrung, Besitz – und der Gast wurde mit wilden Früchten, frischem Wildbret und Sauermilch bewirtet. Bei seiner Abreise ließ der Gast ebenfalls Geschenke zurück.
    Waren das wirklich die Barbaren, von denen ich gehört hatte? Die Frau, die mich gesundpflegte, hieß Freida. Sie war die weise Frau der Sippe. Die Germanen schreiben den Frauen prophetische Kräfte zu. Die Männer suchen oft ihren Rat und befolgen ihn auch. Allmählich lernte ich Freidas Sprache, so wie ich einst Satvinders Sprache gelernt hatte, und Freida lehrte mich die Sitten und Bräuche ihres Volkes.
    Die Gottheit, die sie besonders verehren, ist Odin, den die Römer Merkur nennen. Aber es gibt keine Bildnisse von ihm. Ich suchte vergeblich die Statuen ihrer Götter, denn sie besitzen keine. Statt dessen weihen sie den Göttern heilige Haine und besondere Plätze. Freida sagte mir, es stehe den Menschen nicht zu, den Gesichtern der Götter menschliche Züge zu geben. Sie sagte, ihr Volk ehre im Namen der Gottheit das, was nur mit den Augen des Glaubens sichtbar sei.
    Sie zählen bei ihrem Kalender nicht die Tage, sondern die Nächte des zunehmenden und abnehmenden Mondes. Vollmondnächte und Neumondnächte gelten als heilig. Sie bringen Glück und sind aus dem Alltag herausgehoben. Die Tage sind alle gleich. Freida zeigte mir, wie man Blutungen nach der Geburt mit einem Aufguß von Misteln stillt. Als ich ihr sagte, daß die Britonen die Mistel

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