Die Prophetin
hielt mitreißende Reden. Er sagte: »So, wie der Himmel den Göttern gehört, so gehört die Erde den Menschen. Unbewohntes Land kann und wird von uns besiedelt werden!« Er wagte sich durch gefährliches Gebiet, um den römischen Statthalter zu treffen und ihm die Bitte des Stammes um Siedlungsland zu unterbreiten. Der Statthalter, so bekamen wir zu hö-
ren, bot Sigmund einen Handel an, um den frieden zu sichern. Er versprach nur Sigmund Land, niemandem sonst. Sigmund ließ sich nicht bestechen. Er gab dem römischen Statthalter stolz zur Antwort:
»Wir haben vielleicht keinen Platz zum Leben, aber wir werden einen Platz finden, um zu sterben!« Er kam zu uns zurück und begann, die anderen Stämme für einen neuen Kampf gegen die Römer um sich zu scharen. Sigmund machte seinen Kriegern Mut, indem er sie in der Kunst unterwies, den Gegner einzuschüchtern, zu erschrecken und in Panik zu versetzen.
Ich hatte noch nie einen Krieg erlebt. Möge mir diese grauenhafte Erfahrung ein zweites Mal erspart bleiben, liehe Schwestern.
Sie kämpften im Wald, und es war schrecklich anzusehen, denn am Rande der Schlacht warteten die Frauen und Mütter und spornten ihre Männer an, tapfer zu bleiben. Ihre Rufe und die Schreie der Kinder erinnerten die Männer daran, daß mit dem Sieg oder der Niederlage das Schicksal aller auf dem Spiel stand, und sie griffen noch erbitterter und kühner die römischen Legionäre an. Als ich die Tapferkeit von Sigmund und seinen Kriegern sah, spürte ich eine seltsame Veränderung in meinem Herzen. Sie kämpften gegen die Römer, und doch wünschte ich plötzlich, Freidas Stamm würde siegen. Ich war inzwischen drei Jahre bei ihnen. Sie hatten mir das Leben gerettet und mich aufgenommen. Sigmund mit seinen langen rotgoldenen Haaren, den eisernen Muskeln und dem Mut eines Gottes bot in der Schlacht einen unvergeßlichen Anblick. Er überragte die kleinen Römer um Kopf- und Schulterlänge. Speere und Pfeile schienen wirkungslos an ihm abzuprallen, als sei er unverwundbar.
Der Kampf nahm eine gefährliche Wendung für seine Männer, weil es den Römern gelang, sie in ein Sumpf gebiet zu treiben. Da rissen sich die Frauen die Kleider vom Leib, um ihre Männer und Söhne daran zu erinnern, welches Schicksal sie nach einer verlorenen Schlacht erwartete: Vergewaltigung und die Sklaverei in Rom.
Auch ich beteiligte mich an den Klagen und den ohrenbetäubenden Kampfrufen, liebe Amelia. Meine verzweifelten Schreie waren laut genug, daß Sigmund sie hörte. Unsere Krieger faßten neuen Mut und stellten sich zum Sterben entschlossen den römischen Legionen.
Die Soldaten Roms schlugen sich tapfer. Aber sie wurden nicht von ihren Frauen in den Kampf begleitet und nicht von ihren Kindern daran erinnert, wofür sie kämpften. Es waren bezahlte Soldaten, keine Männer, die um ihre Heimat und um ihre Familienehre in die Schlacht zogen.
Und so siegten die Germanen wieder, wie in den Tagen des Arminius. Diesmal war Sigmund der gro-
ße Held. Nachdem die Römer in die Flucht geschlagen waren, eilten die Frauen auf das Schlachtfeld und trugen die Toten davon, um ihnen ein ehrenhaftes Begräbnis zu geben. Die verwundeten Männern kamen zu ihren Frauen und Müttern, zeigten ihnen die Wunden und ließen sich von ihnen behandeln.
Die Frauen schrecken beim Anblick von Blut nicht zurück, und die Männer verbergen nicht schamhaft ihre Verletzungen. Ich zeigte den Frauen, wie man bessere Verbände anlegt, als der Stamm sie kannte.
Mit Hilfe von Krautern gelang es mir auch, Wundbrände zu verhindern, und so konnte ich viele vor Schmerzen und Fieber bewahren und bleibenden Verstümmelungen vorbeugen. Ich aber lernte von ihnen, wie man Wunden mit einem Dorn und faden vernäht.
Natürlich behandelte ich auch Sigmunds Verletzungen, wie es als seine Frau mein Recht war. Erfreute sich über meine Tapferkeit am Rande der Schlacht und war stolz über meine besonderen Fähigkeiten, den Verletzten zu helfen und Wunden schneller und schmerzlos zu heilen. In dieser Nacht liebten wir uns zum ersten Mal. Als ich einige Wochen später spürte, wie sich neues Leben in mir regte, da wußte ich, daß mein Leben in der zivilisierten Welt zu Ende gegangen war und ein neues begann. Fortan sah ich in Sigmund und seiner Familie auch meine. Ich nahm den neuen Namen an, den sie mir gegeben, den ich aber immer abgelehnt hatte, und überließ mich völlig Sigmund und seiner Welt.
Im stillen erneuerte ich jedoch den Schwur, ihn und seine
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