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Die Prophetin

Die Prophetin

Titel: Die Prophetin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: wood
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Fingerspitzen glitten zärtlich über ihr Gesicht. Er verschlang sie mit den Augen, atmete jede Run-dung und Linie, jede Wimper und jede Pore, die er an ihrem Körper sah. Er küßte sie noch einmal. Es war der lange, langsame und schmerzlich zarte Kuß eines Mannes, der eine Ewigkeit auf diesen Augenblick gewartet hat, nun aber fürchtete, daß alles zu schnell ging. Beide wollten nur im Hier und Jetzt bleiben, um das Leben in seiner schönsten und intensivsten Weise zu erleben. Es gab kein Fragen und kein Überlegen ob, kein Innehalten, um an die Folgen zu denken. Sie wußten, daß sie nicht mehr dieselben wie damals waren, als alles angefangen hatte. Sie waren Tausende von Meilen, über Jahrhunderte hinweg aus dem Sinai an diesen Ort gekommen, wo die Kirchtürme einer längst vergangenen Zeit, in der die Menschen noch so fromm und gläubig wie Kinder waren, vor ihrem Fenster aufragten und den Mond und die Sterne verdeckten.
    Er trug Catherine zum Bett. Er küßte sie zärtlich, als er sie auf die Daunendecke legte. Ihr Herz klopfte wie rasend, doch ihre beiden Körper bewegten sich langsam. Sie suchten Antworten und fanden sie schließlich im anderen.
    Catherine erwachte und blickte an die Zimmerdecke. Dann sah sie Michael an, der friedlich neben ihr lag und schlief. Der Himmel vor dem Fenster war dunkel, doch ein Hauch von Blässe verriet, daß der Morgen bald anbrechen würde. Sie berührte Michaels Gesicht, und ihr traten Tränen in die Augen. Die Nacht mit ihm war so schön und so außergewöhnlich gewesen. Was danach auch kommen mochte, sie wußte, diese Nacht, Aachen und der Dom würden ihnen immer bleiben. Das alles gehörte von jetzt ab zu ihnen.
    Ihr Blick wanderte wieder zur Decke, und ihr fiel ein eigenartiger bräunlicher Fleck im Gips auf, der verriet, daß irgendwann einmal ein Wasserrohr undicht gewesen sein mußte. Langsam bekam sie einen klaren Kopf und erinnerte sich… Es hatte etwas… mit…
    Sie spürte, daß ihr Herz plötzlich heftig klopfte. Der Traum!
    Catherine stockte der Atem. Der Traum: Tymbosl Sie wußte schlagartig, wo sich die siebte Schriftrolle befand.

    Der letzte Tag

    Freitag, 31. Dezember 1999
    Aachen, Deutschland

    Als Catherine ins Zimmer trat, verließ Michael seinen Platz am Fenster und sah sie aufmerksam an. Sie blieb stehen, ohne den Mantel auszuziehen, und hielt ein kleines Päckchen in der Hand. »Hallo«, sagte sie.
    »Hallo.«
    Die leuchtenden Strahlen der Morgensonne streiften seine Schultern. Er trug ein hellblaues, gemustertes Baumwollhemd und neue Jeans – keine Soutane, keinen Priesterkragen. »Ich war nicht sicher, dich hier zu finden«, sagte sie. Er lächelte. »Warum? Wegen heute nacht?«
    »Wie fühlst du dich?«
    »Wie ich mich fühle?« Er kam zu ihr. »Ich liebe dich, Catherine.«
    »Bitte, sag das nicht.«
    »Warum nicht? Das bedeutet doch nicht, daß ich Gott weniger liebe. Wenn überhaupt, dann hilft mir die Liebe zu dir, meine Liebe zu ihm zu stärken.« Er stand dicht vor ihr und lächelte. Doch seine Augen blickten ernst. »Aber wie ist es mit dir? Bedauerst du es?«
    »O nein…«, flüsterte sie.
    »Catherine, bitte glaub mir, jede Minute der letzten beiden Wochen mit dir ist für mich von Bedeutung.«
    »Aber du wirst jahrelang Buße tun müssen.« Er lachte leise. »Vielleicht.«
    »Du wirst mich als die Verführerin in Erinnerung behalten, die an deinem Sündenfall schuld ist.«
    Er nahm ihr Gesicht zwischen seine Hände. »Weißt du eigentlich, daß du anderen immer Dinge in den Mund legst?«
    »Ich weiß, ich nenne die Dinge immer beim Namen.«
    »Laß mich dich einfach nur ansehen«, flüsterte er und streichelte sie mit den Augen. »Michael, habe ich…«
    »Hast du was…?«
    »Habe ich dich soweit gebracht, daß du kein Priester mehr sein möchtest?«
    »Wenn ich mich dazu entschließe, sind dafür Ereignisse verantwortlich, die lange zurückliegen. Wenn überhaupt, dann hast du mir geholfen, mich der Tatsache zu stellen, daß es für mich nur einen Weg gibt, um Frieden zu finden. Ich muß dem alten Mann vergeben.«
    »Heute ist Silvester«, sagte sie leise und betrachtete seine Lippen. Sie wünschte sich sehnlichst, er werde sie küssen, fürchtete sich aber auch davor. Letzte Nacht war letzte Nacht – etwas Kostbares, Besonderes und Schönes. Aber sie wußte, dieser Tag mußte anders sein.
    »Michael, ich weiß, wo die siebte Schriftrolle ist«, sagte sie. Sie legte das Päckchen auf das Bett, zog den Mantel aus und fuhr fort: »Mir

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