die Gäste konnten ihn stören.
Hier unten sah er das Sonnenlicht nicht, aber trotzdem fühlte er deutlich den schicksalhaften Morgen des letzten Tages in diesem Jahrtausend, während er am Telefon auf eine verschlüsselte Nachricht wartete.
Die meisten Gäste waren für das große Silvesterereignis bereits eingetroffen. Miles hätte schwören können, daß er das fröhliche Treiben und das Spiel mit belanglosen Worten, noch öfter jedoch die Intrigen durch die meterdicken Betonwände spürte, die seine kostbare Sammlung umgaben. Das Leben mit Erika hatte ihn sensibel gemacht für die Schwingungen des Unsichtbaren. Er empfing wie ein hochempfindlicher Radar-schirm die Energie der Gäste, die Spannungen, die Hoffnungen und Ängste der über tausend Menschen, die vierundzwanzig Stunden lang beim Fest zur Zeitenwende die Stille der Casa Havers störten. Und so war es von ihm gewollt. Silvester 1999 stand für den Beginn eines neuen Zeitalters, seiner neuen Ära. Die Auser-wählten sollten diesen Tag nie vergessen. Deshalb hatte Miles alles vorbereitet, damit seine Gäste den Jah-reswechsel nicht nur einmal, sondern nacheinander sechsmal erleben würden. Den Anfang machte Sydney in Australien. Das ›Wunder‹ vollbrachten Laserprojektoren. Sie ›zauberten‹ Fernsehbilder auf riesige Pro-jektionsflächen. Aus den Metropolen der Kontinente, die Santa Fe auf dem Weg in das neue Jahr und Jahrtausend zeitlich voraus waren, würden Direktübertragungen der Silvesterereignisse gesendet werden – aus Sydney, Bombay, Moskau, Rom und New York. Ströme von Champagner würden fließen, und die Musik sollte von den Sangre de Cristo-Bergen widerhallen. Es war eine gute Zeit, um zu leben. Dieser historische Augenblick würde ihm die Erfüllung seiner Träume bringen.
Das neue Zeitalter brach an, und die Computer auf der ganzen Welt verteilten Informationen, Wissen und Geld. Sie stürzten Konzerne und Regierungen oder bestätigten ihre Ziele. Wirtschaft, Kultur und Politik unterwarfen sich fortan dem Datenstrom, der Tag und Nacht die Erde umkreiste. Die mythische Welt der Kirchen und Religionen, die über Jahrtausende hinweg das Bewußtsein der Menschen geprägt hatten, muß-
te der neuen Macht elektronisch manipulierter Fakten weichen. Und er, Miles Havers, der kleine Hacker, war durch seinen Weitblick, durch sein Können und seine Durchsetzungsfähigkeit zum weltweit größten Drahtzieher geworden. Alle Fäden liefen bei ihm zusammen, und kaum jemand ahnte etwas davon. »Hallo?« sagte er in den Hörer. »Ja, ich kann Sie hören. Wie steht es? Gut, ich bleibe am Apparat.«
Er trommelte mit den Fingerspitzen nervös auf die Sessellehne und blickte auf die Notiz, die Teddy ihm geschickt hatte:
Suche nach
[email protected] Name: Joe Smith
Adresse: 1600 Pennsylvania Ave. Washington D.G.
Nicht existierende Telefonnummer, falsche Kreditkartennummer.
›Freund‹ hatte den Anschluß nur eine Stunde.
Das war gerade lange genug gewesen, um einzuloggen, die Archäologin zu warnen und wieder in die Anonymität zu verschwinden, ehe der Betrug mit der Kreditkarte entdeckt wurde. Wirklich sehr gerissen.
Und daß er/sie für diesen Coup das Dianuba-Network benutzt hatte, anstelle von AOL oder Microsoft, war eindeutig ein elektronischer Seitenhieb auf Miles Havers.
»Hallo? Ja?« sagte er in den Hörer. »Was haben Sie herausgefunden?«
Er notierte auf den Notizblock: »Catherine Alexander… Abflug 19.30 Uhr Frankfurt/M.«
»Wohin?« fragte er.
Als er die Antwort hörte, wußte er, daß die kluge Frau Doktor doch noch herausgefunden hatte, wo sich die siebte Schriftrolle befand.
»Ich habe eine Standleitung zu Ihnen geschaltet. Bleiben Sie ihr auf der Spur. Die Frau darf Sie nicht sehen. Aber seien Sie auf jeden Fall dort, wenn sie die siebte Rolle holt. Beschaffen Sie mir das Dokument.
Das andere… ich meine, wie Sie die Frau hinterher aus dem Weg räumen, das überlasse ich Ihnen.« Der Tiger richtete sich zu seiner ganzen Größe auf. Die Beute war ihm sicher.
Der Vatikan, Rom
Dreiundzwanzig Uhr. Der Countdown für Mitternacht hatte begonnen.
»Er ist mein Freund«, sagte Michael, als sie am Petersplatz aus dem Taxi sprangen. »Er hat die Informationen über die geheimnisvollen Schriftrollen aus dem Sinai in den Medien verfolgt, und als ich ihm von uns erzählte, hat er sich bereit erklärt, uns zu helfen…«
Er nahm Catherines Hand, und sie suchten sich eilig einen Weg durch den Stau. Die Autos standen