Die Prophetin
Ägypter. Er lächelte sie an und fragte: »Sie Amerikaner?« Seine Zähne blitzen weiß, als er hinzufügte: »Ahlan wa sahlanl« und die Hand ausstreckte. »Bakschischt«.
»Origanum ramonense…«, murmelte Catherine zufrieden, denn die Form des winzigen Blättchens war eindeutig, ebenso die Härchen am Stengel und am Blütenkelch. Die Blütenkrone war gut erhalten. Catherine las die Beschreibung im Buch, die damit endete: ›… endemisch im zentralen Hochland der Negev‹.
Israel… das ist mehr als zweihundert Meilen entfernt! Wieder blickte sie auf den geheimnisvollen Korb und spürte, wie ihr Herz schneller schlug. Ihre Vermutungen waren richtig. Das Jesus-Fragment stammte nicht von einem der Einsiedler, die vor vielen Jahrhunderten hier in den Höhlen des Sinai gelebt hatten. Die winzige Pflanze, die an der Schnur hing, mit der der Korb verschnürt worden war, wuchs nur im Negev und sonst nirgendwo auf der Welt. Das bedeutete, was immer sich in dem Korb befinden mochte, kam ebenfalls von dort. Aber weshalb hatte man damals soviel Sorgfalt darauf verwendet, den Inhalt zu verpacken, und war mit dem Korb dann so weit gereist, um ihn hier zu begraben? Woher waren die Leute gekommen? Wer waren sie gewesen? Und der Schädel? Hatte man jemanden zusammen mit dem Korb begraben? Und wenn das so war, aus welchen Grund?
›Lest diesen Brief im geheimen, in Sorge um Eure Sicherheit und in furcht um Euer Lehen.‹
Catherine zuckte zusammen. Vor dem Zelt räusperte sich jemand. Dann hörte sie eine vertraute Stimme:
»Frau Doktor?« Es war Samir. »Kommen Sie herein.«
Als er eintrat, sah Catherine, daß er einen schnellen Blick auf den Korb warf.
Kann ich ihm wirklich trauen?
Sie kannte den netten jungen Ägypter seit fünf Jahren. Sie hatten sich bei Ausgrabungen an der Nordküste des Sinai getroffen. Samir war Examenskandidat in Ägyptologie. Er war fleißig, und Catherine stellte bald fest, daß sie sich voll und ganz auf ihn verlassen konnte.
Als sie nach Ägypten zurückkam, um nach dem Moses-Brunnen zu suchen, hatte Samir promoviert, aber er suchte eine Stelle. Die Konkurrenz unter den Archäologen war groß, und meist bekam die begehrten Posten bei Ausgrabungen nur jemand, der Freunde oder Verwandte in der Behörde hatte. Catherine hatte Samir als Grabungs-Aufseher eine solche Stelle verschafft, und er erklärte überglücklich, dafür sei er ihr ewig zu Dank verpflichtet. Sein schneller Blick auf den Korb machte Catherine mißtrauisch. Konnte sie sich auch dann noch auf ihn verlassen, wenn es um einen einmaligen Fund ging, der ihn möglicherweise reich und berühmt machen würde?
»Im Lager ist alles in Ordnung, Frau Doktor«, sagte er und fügte zu Catherines Überraschung hinzu: »Alle schlafen.« Ahnte er, daß sie nur darauf wartete, den Korb ohne lästige Zeugen öffnen zu können?
Nachdem er gegangen war, schloß sie den Reißverschluß des Zelteingangs und ging an den Arbeitstisch zurück. Sie brauchte nicht länger zu warten. Mit Pinzette und Schere machte sie sich so behutsam und langsam an die Arbeit, wie es ihre Aufregung zuließ. Sie durchtrennte vorsichtig die äußere Leinenumhüllung, entfernte die Verschnürung und schnitt präzise und ruhig wie ein Chirurg bei einer Operation durch die einzelnen Schichten. Der Wind pfiff und heulte um das Zelt. Sand und kleine Steine wurden prasselnd gegen die Zeltbahnen getrieben. Der Mond stand inzwischen hoch am Himmel und tauchte das Lager in ein geheimnisvolles Licht. Catherine entfernte mit angehaltenem Atem die innerste Umhüllung.
Ihre Augen wurden groß vor Staunen, als sie schließlich den Inhalt sah.
Die Bauchtänzerin erreichte das Ende ihrer Vorstellung. Sie hieß Yasmina und wurde vom Hotel Isis als
›Rose des Ostens‹ angepriesen. In Wirklichkeit hieß sie Shirley Milewski und kam aus Bismarck, North Dakota. Sie tanzte jetzt zwischen den Tischen der Gäste und ermunterte sie, ihr Dollarscheine und ägyptische Pfundnoten in das hautenge Kostüm zu stecken. An der Rezeption verlangte einer der beiden spät eingetroffenen Amerikaner ein Zimmer für die Nacht. Er bezahlte bar und rundete den Betrag großzügig nach oben ab, weil er die Reisepässe nicht zur Hand hatte. Sein Partner stand am Telefon neben dem Aufzug.
Als sich der gewünschte Teilnehmer meldete, sagte er schnell einen einzigen Satz. Vorher vergewisserte er sich jedoch, daß niemand ihn beobachtete oder mithörte. Er sagte: »Wir sind am Ziel.«
Catherine sah vor sich
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