Die Prophetin
wegen einer dringenden Familienangelegenheit abgereist. Der freundliche alte Herr würde alle Post an ihre Adresse in den USA weiterleiten.
Sie hoffte, daß die überstürzte Abreise auf Außenstehende möglichst normal wirkte. Jetzt galt es, alle Spuren sorgfältig zu verwischen.
Noch einmal musterte sie die Zollbeamten und versuchte, intuitiv herauszufinden, welcher sie ohne Ge-päckkontrolle abfertigen würde. Ein älterer rothaariger Mann schien zu Frauen etwas freundlicher zu sein…
Catherine erinnerte sich mit leichtem Schaudern an den einen entsetzlichen Augenblick auf der Flucht, als sie glaubte, alles sei verloren. Garibaldi, der Priester, hatte sich zum Wortführer der Zuschauer gemacht, um die arme »mißhandelte Frau« vor dem Zorn ihres »Bruders« zu schützen. Bei dem Handgemenge wäre Daniels Verkleidung beinahe entdeckt worden.
Die Schlangen vor den Zollbeamten wurden kürzer. Catherine entschied sich schließlich für den Rothaari-gen und stellte sich mit ihren beiden Gepäckstücken an. Um sich abzulenken, dachte sie an Garibaldi. Sein Vorgehen hatte sie wider Willen beeindruckt. Es gehörte Mut dazu, sich in einen Familienstreit von Arabern einzumischen! Das hätte böse Folgen für ihn haben können. Irgendwie erinnerte sie der Priester in seiner Art, für die Schwachen einzutreten, an Daniel.
Daniel hatte früher einmal Priester werden wollen. Es war bereits alles in die Wege geleitet, aber dann änderte er seine Pläne ohne eine Erklärung von einem Tag auf den anderen. Das war damals, als sie ihn weinend in der Waschküche entdeckt und ihn getröstet hatte. Er verriet ihr auch später nie den Grund für seine Tränen. Kurz darauf erklärte er, er habe beschlossen, kein Priester zu werden.
Sie schob den Koffer und die Reisetasche mit den Knien vorwärts und näherte sich langsam dem Zollbeamten. Seine Kollegen rechts und links wirkten müde. Sie verabschiedeten die Reisenden nicht mehr mit ›Frohe Weihnachten^ aber das Gepäck untersuchten sie noch immer.
Catherines Nerven waren inzwischen bis zum Zerreißen gespannt. Sie hatte Angst, in Handschellen abgeführt zu werden. Ihr Bild würde in den Zeitungen erscheinen, und man würde sie auf das schärfste dafür verurteilen, daß sie einen der obersten Grundsätze der Wissenschaft und ihres Berufs mißachtet hatte.
Die Schriftrollen befanden sich im Koffer, den sie auf dem Flug aufgegeben hatte. Aber sie waren ihr auf der ganzen Reise gegenwärtig gewesen, und sie mußte immer wieder an die geheimnisvollen Worte denken.
Amelia… Diakonos… Jesus… das Ende der Welt… War Sabina Jesus persönlich begegnet? Hatte sie von ihm etwas erfahren, das weder im Neuen Testament noch im Alten stand? War Sabina die Prophetin, deren Worte das ganze Christentum grundlegend verändern würden?
Der Zollbeamte ließ das ältere Ehepaar vor Catherine durchgehen, ohne die Koffer zu überprüfen. Catherines Hoffnungen stiegen. Sie blickte sehnsüchtig auf den Ausgang hinter dem Zoll. Dort wartete die Freiheit… »Bitte öffnen Sie den Koffer!«
Catherine bekam einen trockenen Mund. Sie versuchte, nach außen die Ruhe zu bewahren, obwohl ihr das Herz bis zum Hals schlug.
Ohne Zögern öffnete sie den Koffer und die große Reisetasche. In der Reisetasche befanden sich ihre persönlichen Dinge und schmutzige Wäsche, im Koffer die wesentlichen Dinge, die sie für ihre Arbeit benutzte – vor allem Bücher. Darunter auch die Schriftrollen. Der Beamte blickte fragend auf die Bücher. Catherine nahm schnell eines heraus. Krankheiten bei ägyptischen Mumien. Sie hatte das Buch in Kairo gefunden und für Julius gekauft. Sie reichte es dem Beamten und schlug es hilfsbereit auf. Als der Mann die Photos der Skelette und Schädel sah – für ihn Bilder aus einem Horrorfilm –, gab er ihr das Buch schnell zurück, warf noch einen flüchtigen Blick auf ein anderes -Handbook Of Field Archaeology. Pottery Of The Late Bronze Age – und bedeutete ihr mit einer knappen Geste, den Koffer zu schließen. Catherine schloß schnell Tasche und Koffer und eilte weiter.
Hinter der Zollabfertigung wankte sie zur nächsten Damentoilette und klammerte sich an ein Waschbecken.
Der Boden unter ihren Füßen schien leicht zu schwanken. Die Anspannung war zu groß gewesen, aber ihre Strategie hatte sich als erfolgreich erwiesen.
Unter dem Buch mit den Skeletten lag ein Buch mit dem Titel Die Leiche im Moor. Auf dem Umschlag sah man einen Totenschädel, der den Betrachter
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