Die Prophetin
nicht weiter schlimm.«
»War es wirklich nur ein Streifschuß oder steckt eine Kugel im Arm?«
»Nein, keine Kugel…«
Sie legte die blaue Tasche auf das Bett am Fenster: »Setzen Sie sich.« Dann öffnete sie den Verbandskasten. »Woher haben Sie den?« fragte er und setzte sich neben sie. »Ich habe der Frau im Büro gesagt, ich hätte meinen Kofferschlüssel verlegt und versucht, den Koffer mit einem Messer zu öffnen, und mich dabei geschnitten. Sie hat mir den Verbandskasten verkauft.«
»Wollen Sie das wirklich tun? Ich kann ins Bad gehen und die Wunde selbst verbinden.«
Ich muß mich auf etwas konzentrieren, hätte sie am liebsten geantwortet. Ich muß mich beschäftigen, sonst fange ich an zu denken. Und ich möchte nicht denken, noch nicht… Catherine desinfizierte schweigend die Wunde und verband sie sorgfältig mit einer Mullbinde.
Garibaldi fragte: »Was wollen Sie jetzt tun? Ich meine, wenn Sie nicht zur Polizei gehen…«
Sie schüttelte nur stumm den Kopf. Sie wußte nicht, was sie tun sollte. Ihre Welt schien in Stücke gebrochen zu sein – zuerst der Streit mit Julius, und dann…
»Vater Garibaldi, warum sind Schußwaffen erlaubt? Warum sind sie nicht grundsätzlich verboten? Warum bringen sich Menschen gegenseitig um? Warum… warum gibt es soviel Gewalt auf der Welt?«
Als sie seinen teilnahmsvollen Blick sah, brach ihr Widerstand zusammen. Sie begann zu schluchzen. Verzweifelt schlug sie die Hände vor das Gesicht. »Ist ja schon gut«, sagte Garibaldi tröstend. »Das mit dem Mord, das hätte nicht geschehen dürfen! Niemand hat es verdient, so zu sterben! Das Messer… das Blut…
O Gott!« Sie sprang auf. »Entschuldigen Sie, ich…« Sie lief ins Bad und ließ sich kaltes Wasser über Gesicht und Hände laufen. Als sie ins Zimmer zurückkam, hatte Garibaldi ein frisches Hemd angezogen – ein schwarzes Hemd mit kurzen Ärmeln. Den weißen Priesterkragen sah sie nicht. »Geht es Ihnen wieder besser?« fragte er. Sie nickte stumm.
Keine Gefühle, sagte sie sich vor. Behalte die Nerven. Du mußt die Sache zu Ende führen. Das bist du Danno schuldig. »Das hat mir Mr. Mylonas für Sie gegeben«, sagte er und reichte ihr das Päckchen.
»Es ist von Danno«, murmelte sie und legte es auf den Schoß. »Wissen Sie, ich habe immer noch Urlaub, und ich war noch nie in Kalifornien. Ich fand es interessant, nach Santa Barbara zu fahren…« Er seufzte.
»Wäre ich doch nur etwas früher gekommen, dann hätte ich Ihrem Freund vielleicht das Leben retten können.«
»Oder Sie wären ebenfalls tot«, erwiderte sie tonlos und starrte auf das Päckchen.
Daniel hatte als Absender seine Adresse in Kalifornien angegeben, aber Catherine sah an den Briefmarken und dem Poststempel, daß das Päckchen in Cozumel, Mexiko, aufgegeben worden war. Vorsichtig entfernte sie das braune Packpapier. Eine kleine Schachtel kam zum Vorschein. Darauf lag ein Brief. Mit Tränen in den Augen las sie:
›Hallo, Cathy! Das soll eine Überraschung für Dich sein! In Deinen Händen hältst Du etwas, das aus dem Grab stammt. Das ist kein Witz! Als ich das Grab entdeckte, war es leer, denn es ist bestimmt schon vor Jahrhunderten ausgeraubt worden. Aber im Laufe der Jahre sind einzelne Funde wieder aufgetaucht. Dieses kleine Kunstwerk habe ich in einem Laden in Cozumel entdeckt und wußte sofort, daß es aus ‹meinem›
Grab stammt, denn auf einer der Fresken legt eine Frau, die meiner Meinung nach die Königin ist, Mais als Opfergabe auf den Altar einer Erdgöttin, eine der eher friedlichen Gottheiten im Maya-Pantheon! Nun ja, auf dem Wandbild trägt sie jedenfalls genau das, was ich Dir schicke. Als ich es entdeckte, konnte ich kaum glauben, wie genau die Jade mit der Farbe Deiner Augen übereinstimmt. Frohe Weihnachten und ein glückliches neues Jahrtausend, Cathy. Das wünscht Dir Danno.‹
Sie öffnete die kleine Schachtel und fand in Watte gebettet einen Jadeanhänger. Sie nahm ihn heraus. Es war ein Jaguar an einem Lederband. Sie hob das Band über den Kopf und legte es um den Hals. Der An-hänger reichte bis zu ihren Brüsten. Sie betrachtete ihn lange und lauschte dabei auf den Regen, ohne zu bemerken, daß Garibaldi den Blick nicht von ihr wandte. In Gedanken sah sie Daniel. Er trug ein T-Shirt und sagte lachend: ›Mach mir nichts vor. Ich weiß, was Karaoke ist.‹ Ein anderes Bild drängte sich ihr auf.
Daniels Augen wurden starr vor Entsetzen.
Der Mann riß ihm den Kopf zurück, das Messer
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