Die Prophetin
Mysterium, das wir Tod nennen, denn wir alle haben die Teile in uns, die zusammengefügt die klare Antwort geben. In Alexandria hörte ich zum ersten Mal von dem neuen Zeitalter…
Ich bitte Dich um Verständnis, Amelia, aber ich werde müde. Perpetua sagt mir, daß man damals, als die Männer mich fanden und in das Kastell brachten, geglaubt hat, ich sei tot. Vielleicht war ich tot.
Meine Schwestern, ich überbringe euch die gute Nachricht, daß mir offenbart worden ist, wie und wann der Gerechte zurückkehren wird.
Ich weiß um das Ende aller Dinge und um die Wiederkunft des Gerechten.
Ich weift auch, daß sich meine Mutter in ihrer Vorstellung vom Tod geirrt hat.
(Perpetua schreibt: ›Liebe Amelia, Sabina wurde von den Erinnerungen so überwältigt, daß sie nicht weitersprechen konnte. Ich befürchtete, sie werde sterben. Aber wie durch ein Wunder hat sie sich wieder erholt, sitzt im Bett und sagt, daß sie ewig leben wird. Sie möchte den Bericht in ein paar Tagen fortsetzen.‹
Santa Monica, Kalifornien
Die Mitteilung auf dem Anrufbeantworter war so eigenartig, daß Julius zuerst dachte, jemand habe sich einen Scherz mit ihm erlaubt. Doch dann fiel ihm auf, daß sich die geheimnisvolle Anruferin unter dem Namen ›Meritites‹ meldete – der Name der Königin, deren Mumie er vor einem Jahr untersucht hatte. Er hörte sich das Band mehrmals an, bis ihm schließlich dämmerte, daß die Frau Catherine war, die mit verstellter Stimme sprach. Sie wollte ihm offenbar mitteilen, daß sie in Sicherheit war und sich verstecken würde. Niemand sollte wissen, wo sie sich befand – auch er nicht.
Warum diese Vorsicht? Warum ›Meritites‹ und die verstellte Stimme? Vor allem, warum die Betonung darauf, daß es ihr gutgehe?
Jetzt machte er sich noch größere Vorwürfe, nach ihrem Streit ins Institut gegangen zu sein. Er hätte bei ihr bleiben müssen. Bei seiner Rückkehr war das Haus leer gewesen, und als er die Nachricht fand: ›Ich muß für ein paar Tage weg!‹ hatte er bei Daniel Stevenson angerufen, weil er hoffte, sie sei dort. Aber Daniel hatte sich nicht gemeldet.
Deshalb fuhr Julius zu ihrer Wohnung in der Fifth Street in Santa Monica.
Er schloß die Wohnungstür mit seinem Schlüssel auf und hoffte, ja rechnete fast damit, sie über die Schriftrollen gebeugt zu finden. Versunken in die Übersetzung würden ihr die langen kastanienbraunen Haare über die Schultern fallen – immer, wenn sie sehr konzentriert arbeitete, vergaß sie ihre Haare und machte sich nicht die Mühe, sie zu frisieren oder mit einer Spange zusammenzuhalten.
Aber Catherine war nicht in der Wohnung. Die Kaffeekanne stand im Küchenschrank, das Bett war unbenutzt, und auf dem Eßtisch lagen ein Stapel Post und Zeitungen, die ihre Nachbarin in die Wohnung brachte. Im Schlafzimmer sah er auf der Kommode ein gerahmtes Photo von ihnen beiden am Strand von Honolulu. Sie hatten damals zusammen an einer Konferenz teilgenommen und im Halekulani Hotel zum ersten Mal miteinander geschlafen. Julius schloß die Augen. Er glaubte, noch immer die Brandung vor der Terrasse hören zu können. Er sah das Mondlicht, das auf das Bett schien, spürte Cathys zarte Haut und roch den Duft von Kokosnußsonnenöl und frisch gewaschenen Haaren. Ihre dichten, langen kastanienbraunen Haare hatten ihn sofort um den Verstand gebracht. Cathy trug sie am liebsten offen. Das fand er sexy und sehr herausfordernd. Hätte ich dich doch nicht allein gelassen.
»Cathy«, flüsterte er, »wo immer du auch sein magst, bitte ruf mich an. Komm zurück. Wir werden zusammen eine Lösung finden.«
Er tröstete sich damit, daß Catherine unabhängig war und für sich sorgen konnte. Wo immer sie sein mochte, sie befand sich in Sicherheit. Ihre Tollkühnheit würde ein Geheimnis bleiben, bis sie die Schriftrollen übersetzt hatte…
»Lange rotbraune Haare«, sagte die Zeugin zu dem Porträtzeichner auf der Polizeiwache. »Nein, nicht rot, eher kastanienrot. Ja, das ist schon besser.«
Der Zusammenstoß war so überraschend gewesen. Die Fremde rannte aus Dr. Stevensons Wohnung, dann lagen alle Lebensmittel auf dem Boden, und die Frau war bereits auf der Treppe. Trotzdem konnte die Nachbarin die Fliehende genau beschreiben. Jetzt bestätigte sie dem Zeichner, das Bild sehe ihr wirklich sehr ähnlich.
»Haben Sie eine Ahnung, wer diese Frau gewesen sein könnte?« fragte der Inspektor, der auf dem Schreibtisch saß und Kaugummi kaute.
Die Nachbarin schüttelte den
Weitere Kostenlose Bücher