Die Prophetin
immer noch glühten. Als sie die Plastikhandschuhe anzog, erinnerte sie sich an das Gefühl von Garibaldis Fingern in ihrem Nacken. Sie nahm die Verschlußkappe der Flasche ab und füllte das Farbgel in die Flasche mit dem Entwickler. Der Gedanke an seinen Körper in ihrer Nähe, das Geräusch der Schere und das Gefühl seiner Kraft stellte sich wieder ein. Sie schüttelte die Flasche, um die Flüssigkeiten zu mischen, und massierte sie dann in die Haare. Sie mußte sich in diesem Augenblick eingestehen, daß Garibaldi sie nicht nur auf der Verstandesebene beeinflußte. Der Geruch von Ammoniak verbreitete sich im Bad, und ihre Augen begannen zu brennen. Im Spiegel sah sie hinter sich die lackierten Stöcke, die er im Gepäck hatte. Wer ist er wirklich? Was für eine Vergangenheit hat er? Aus welcher Familie kommt er? Warum ist er Priester geworden? Als die Flüssigkeit auf dem Kopf gleichmäßig verteilt war, zog sie eine Plastikhaube über die Haare. In der Gebrauchsan-weisung stand, daß das Gel fünfundvierzig Minuten einwirken mußte.
Sie ging ins Zimmer und setzte sich an den Computer, tippte die Zahlenfolge, und das Modem wählte. Als die Meldung:
BENUTZER
erschien, tippte sie ›Phantom‹, das Paßwort, das sie sich ausgedacht hatten. Kurz darauf erschien die Meldung:
Ungültiges Paßwort.
Das bedeutete, der Zugang war noch nicht aktiviert.
Catherine ließ das Modem noch einmal wählen und gab das Paßwort ein.
Ungültiges Paßwort.
Inzwischen hätte der Zugang freigeschaltet sein müssen. Das Konto war schon seit über zwei Stunden er-
öffnet.Was mochte der Grund für die Verzögerung sein?
Sie tippte noch einmal die Zahlenfolge, hörte das Modem wählen und den Signalton… Sie wartete mit angehaltenem Atem. Dann kam ein neues Geräusch. Es klang wie das Öffnen einer rostigen Tür – der Computer machte seinen ›Handshake‹. Sie lachte und flüsterte: »Wir haben die Zugangsberechtigung!« Sie klickte auf ›NetScape‹ und danach auf ›NetSearch‹. Bei welcher Datenbank sollte sie die Suche beginnen?
Bei Lycos, beschloß sie. Carnegie-Mellon Universität. Sie klickte auf ›Search Large Data Base‹. Das Such-Menü erschien. Der Cursor blinkte auf:
SUCHBEGRIPP.
»Okay«, murmelte Catherine. »Was suche ich als erstes? Antiochia?«
Ihr Blick fiel auf die lackierten Stöcke. Wie hieß dieser Kampfsport? Pangamot!
Sie tippte das Wort und drückte dann auf Eingabe. Lycos meldete ihr neunundzwanzig Einträge. Sie wählte einen kürzlich im Soldier of Fortune erschienenen Artikel und las:
›Für den Pangamot-Kämpfer ist Selbstverteidigung passiv. Pangamot ist aggressiv. Es ist ein Kampf um Leben oder Tod. Es gibt keine Regeln. Der Sieger erhält als Preis keine Siegestrophäe, sondern nur sein Leben.‹
Ein Textverweis öffnete ihr die Netz-Seite über den philippinischen Kampfsport. Dort befanden sich Zeichnungen von Kampfstellungen mit den gleichen lackierten Stöcken, wie Garibaldi sie benutzte. Sie wurden eindeutig als todbringende Waffe eingesetzt.
Sie hörte nicht, daß die Tür aufging und Garibaldi wieder zurück war.
Plötzlich stand er hinter ihr und sagte: »Sie hätten mich fragen können.« Er deutete auf den Bildschirm.
»Ich hätte alles beantwortet, was Sie wissen wollen.«
Catherine sah ihn nicht an. »Sie haben gesagt, Pangamot sei eine Art Selbstverteidigung.«
»Das habe ich nicht gesagt.«
»Es ist ein aggressiver Kampfsport. Sie setzen auf Gewalt.«
»Nein, ich übe Kontrolle über die Gewalt aus.« Sie sah ihn an. »Wollen Sie damit sagen, daß Sie die Gewalt Ihres Gegners unter Kontrolle halten?« Er schüttelte den Kopf. »Nein, meine eigene.« Ihr wurde plötzlich kalt. Widerwillig, aber wie unter einem Zwang fragte sie: »Warum lassen Sie sich die Haare so kurz schneiden? Sagen Sie es mir!«
»Zu den Techniken beim Pangamot gehört es, den Gegner bei den Haaren zu packen und ihn…«
Sie starrte auf den Boden. »Ich hätte die Frage nicht stellen sollen.«
»Warum sind Sie so schockiert?«
»Ich hasse Gewalt in jeder Form, und…«
»Und?«
Und Sie sind Priester, hatte sie sagen wollen. Ich kann nicht gutheißen, daß ein Priester einen Kampfsport ausübt. Er musterte sie, drehte sich um, löste die Riemen seiner Reisetasche und nahm die lackierten Stö-
cke in die Hand. Er streckte sie aus. »Hier, nehmen Sie die Stöcke…«
»Nein.«
»Es sind nur zwei lackierte Bambusstöcke. Vielleicht können Sie Ihre Angst besser überwinden,
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