Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Prophezeiung der Nonne: Roman (German Edition)

Die Prophezeiung der Nonne: Roman (German Edition)

Titel: Die Prophezeiung der Nonne: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Bilyeau
Vom Netzwerk:
dürften alle, die zu Fuß hinüber wollten, nur einzeln hintereinander gehen. Wir würden warten müssen, bis wir an der Reihe waren, und das könne sich noch gut eine Stunde hinziehen.
    »Das macht nichts«, murmelte ich, immer noch mit den Bären und ihrem schmerzlichen Gebrüll beschäftigt.
    »Wartet, Schwester Joanna.«
    Bruder Edmund war stehen geblieben. Er hatte die Arme über der Brust gekreuzt und sah mich ernst an. »Ich muss wissen, was passiert ist«, sagte er. »Euch hat doch etwas ganz anderes so in Angst versetzt.«
    Ich durfte Bruder Edmund kein Wort verraten.
    »Wenn Ihr mir sagt, was geschehen ist, kann ich helfen«, drängte er.
    »Bruder, wir müssen über die Themse«, sagte ich.
    Er gab auf. In gespanntem Schweigen legten wir die letzten Schritte zur Brücke zurück. In mir tobte ein heftiger Kampf. Ich dachte daran, welch eine Stütze Bruder Edmund mir bei der verzweifelten Suche nach der Athelstan-Krone gewesen war. Wie hilfreich seine Klugheit war und ebenso seine Lauterkeit und sein Mitgefühl.
    Kurz vor der Menschenschlange an der Brücke blieb ich stehen und zog Bruder Edmund weg vom Gedränge in eine schmutzige kleine Gasse, wo niemand uns sehen und hören konnte. Er war nicht erstaunt, und er widersetzte sich nicht. Er wusste, dass ich ihm jetzt sagen würde, was er wissen wollte.
    »Ich war siebzehn«, begann ich, »als meine Mutter mit mir nach Canterbury reiste.«

VIERTER TEIL

Kapitel 28
    Bruder Edmund hörte sich meine Geschichte von den zwei Prophezeiungen, die mich wider meinen Willen einem unbekannten und von mir gefürchteten Schicksal entgegenführten, schweigend und mit ungeteilter Aufmerksamkeit an. Nur einmal unterbrach er mich, nachdem ich berichtet hatte, dass Schwester Elizabeth Barton die Worte einer anderen Seherin, einer Mother Shipton aus Yorkshire, wiederholt hatte: Reitet die Kuh einst auf dem Stier, dann, Priester, geht’s ans Leder dir.
    »Das habe ich schon gehört«, sagte er. Und dann: »Fahrt fort.«
    Als ich geendet hatte, schwieg er lange und starrte mit leicht zusammengezogenen Brauen auf die schmutzbedeckte Mauer der Gasse. Dann wandte er sich mir zu. »Glaubt Ihr daran?«, fragte er.
    Ich holte tief Atem. »Diese Frage habe ich mir so oft gestellt und immer wieder über alles nachgedacht – über Schwester Elizabeths Widerruf und Gertrudes Erklärung dafür, warum sie widerrufen hat. Und natürlich auch über die Möglichkeit, dass Orobas nur ein Scharlatan war, der es auf Gertrudes Geld abgesehen hatte. Ich weiß nicht, was ich von all dem halten soll. Ich drehe mich endlos im Kreis, es ist eine Qual.«
    Ich legte ihm die Hand auf den Arm. »Sagt mir, Bruder Edmund, wie Ihr darüber denkt. Kann es solche Prophezeiungen überhaupt geben?«
    »Oh, Propheten und Seher, Hexen und Geisterbeschwörer gibt es zuhauf, und alle behaupten sie, in die Zukunft sehen zu können«, antwortete Bruder Edmund. »Wie viel davon wahr ist, lässt sich unmöglich sagen. Natürlich gibt es Schwindler, die denLeichtgläubigen nur das Geld aus der Tasche ziehen wollen. Aber Eure Erfahrungen, das, was Ihr gesehen und gehört habt, lassen mich doch glauben …«
    Zu meiner Verblüffung lächelte Bruder Edmund. Das hatte ich nicht erwartet. Ich hatte geglaubt, er werde sich um mich ängstigen. »Schwester Joanna, ich glaube wirklich, dass hinter diesen Prophezeiungen eine Wahrheit steckt.«
    Ich erschrak. »Und das ist Euch willkommen?«
    »Es ist erschreckend, gewiss, und sehr mysteriös, aber überlegt nur einmal, wenn es wahr ist, dann seid Ihr die Ausersehene«, sagte er.
    »Die Ausersehene?«, wiederholte ich verständnislos.
    Er nahm mich bei den Armen und schüttelte mich, nicht im Zorn, sondern vor Erregung. »Durch Euch würden die Klöster wieder ins Leben gerufen.« Unsere Gesichter waren keine Handbreit voneinander entfernt – seins war wie verklärt. Eine starke Sehnsucht ging von ihm aus. Er hatte sein Leben als Dominikanermönch verloren, doch die Berufung war geblieben. Wir alle waren gezwungen worden, unseren Traum aufzugeben. Doch jetzt, nach dem, was ich enthüllt hatte, schien eine Erneuerung möglich. Warum also stürmte ich nicht voran, um die alte Ordnung, die unser Leben bestimmt hatte, wiederherzustellen? Ich trat mit so heftiger Bewegung von ihm weg, dass ich mit dem Rücken gegen die Backsteinmauer prallte.
    Am Ende der Gasse lachte jemand laut, und ein Mann grölte: »So ist’s recht, Bursche – nimm sie dir, wo du kannst.«
    Bruder Edmund trat

Weitere Kostenlose Bücher