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Die Prophezeiung der Nonne: Roman (German Edition)

Die Prophezeiung der Nonne: Roman (German Edition)

Titel: Die Prophezeiung der Nonne: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Bilyeau
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verklang.
    Bruder Edmund und ich waren allein im Kloster Blackfriars.

Kapitel 29
    »Sollen wir wirklich hierbleiben?«, flüsterte ich.
    »Die Zimmer werden vielleicht nicht allzu gemütlich sein, aber ich kann mir keinen Ort vorstellen, wo wir sicherer sind«, antwortete er. »Einen Advokaten können wir heute Abend sowieso nicht mehr aufsuchen. Sie sind um diese Zeit nicht mehr in ihrenKanzleien. Aber wir haben Zeit, uns in der Bibliothek umzusehen.«
    Mit der Kerze in der Hand führte er mich tiefer in das Kloster hinein. Auf dem Weg durch London, von der Brücke zum Kloster, hatte er mir von den Schätzen der Bibliothek und des Skriptoriums erzählt. Aus ganz Europa kamen die Menschen, um die kostbare Sammlung zu sehen: die illuminierten Handschriften, die alten Schriftrollen, die philosophischen Werke.
    Doch als wir die Bibliothek betraten, sahen wir sofort, dass nichts mehr seine Ordnung hatte. Einige Borde waren leer; dort, wo man Bücher zurückgelassen hatte, standen und lagen sie ungeordnet durcheinander, willkürlich in die Fächer geschoben.
    »Die illuminierten Handschriften – alle weg«, sagte Bruder Edmund mit schmerzerfüllter Stimme. »Wisst Ihr, wie lang so ein Buchmaler brauchte, um nur eine dieser Handschriften zu gestalten? Ein ganzes Leben. Und es ging ihnen nicht allein darum, Gott zu dienen – sie wollten den Menschen, die nach ihnen kommen würden, Seelenstärkung spenden. Wir sind Glieder einer Kette, Schwester Joanna, wir ehren jene, die vor uns da waren, und helfen denen, die nach uns kommen werden. Deshalb legen wir Gelübde ab, um Teil einer Einheit zu werden, die größer ist als wir selbst. Was tun wir, wenn die Kette von unserem König zerrissen wird?«
    Ich wusste nichts zu sagen, was ihn hätte trösten können. Die Plünderung der Klöster hatte uns allen eine tiefe Wunde geschlagen, die niemals heilen würde. Während Bruder Edmund die Bücher durchsah, trat ich zu einer steinernen Statue des heiligen Dominikus, die neben der Tür zum Skriptorium stand.
    Langsam und voller Ehrfurcht näherte ich mich dem Abbild unseres Ordensgründers. Ein großer steinerner Hund saß treu an seiner Seite, eine Fackel zwischen den Zähnen. Die Mutter des heiligen Dominikus hatte während ihrer Schwangerschaft geträumt, sie habe einen Hund geboren, der eine Fackel im Maul trug. Als sie voll Furcht ihren Priester befragte, erklärte er ihr, die Fackel stehe für das Wort Gottes, das die Welt entzünden werde.Der Traum war eine Prophezeiung gewesen, die sich bewahrheitet hatte – und der Hund wurde zu unserem Symbol.
    Wenn der Rabe das Seil erklimmt, muss der Hund sich in die Lüfte erheben wie der Falke.
    »Bruder Edmund«, rief ich, »ich glaube, ich verstehe jetzt einen der Codes.« Ich wies auf die Statue. »Wenn der Hund den Dominikanerorden symbolisiert, dann kann es keinen Zweifel daran geben, dass ich der Hund bin.«
    »Aber ja, natürlich, Schwester Joanna!«, rief er. »Das hätte mir längst einfallen müssen. Doch was ist mit dem Raben? Wofür steht er? Schwester Elizabeth Barton war Benediktinerin, und das Symbol dieses Ordens ist der Ölzweig, zum Zeichen seiner Friedensliebe. Wer könnte nur der Rabe sein?«
    Wieder wurde eine Erinnerung wach.
    »Im Kloster St. Sepulchre habe ich ein Buch gesehen«, sagte ich langsam. »Ich glaube, es war eine der illuminierten Handschriften, von denen Ihr gesprochen habt. Die Seiten waren mit Abbildungen von Ölzweigen umrandet, aber vielleicht haben sie auch das Bild eines Vogels enthalten.«
    »Das Leben des heiligen Benedikt von Papst Gregor dem Großen findet sich in jeder Klosterbibliothek – wir werden hier sicher eine Ausgabe finden«, meinte Bruder Edmund. Er übernahm die eine Hälfte des Raums, ich die andere.
    Wir suchten wenigstens eine Stunde, vielleicht auch zwei. Ich kämpfte gegen die Müdigkeit und musste mir immer wieder die Augen reiben, um deutlich sehen zu können. Als ich glaubte, nicht ein weiteres Wort mehr lesen zu können, machte ich eine Pause und schaute mich nach Bruder Edmund um. Er stand über einen Tisch voller Bücher gebeugt. Das Kerzenlicht umgab sein langes blondes Haar wie eine Gloriole. Er gönnte sich nicht die kleinste Pause, plagte sich unermüdlich, um in dieser ausgeplünderten Bibliothek Antworten auf unsere Fragen zu finden.
    Bruder Edmund ist mein Schutzengel , dachte ich. Eine leidenschaftliche Zärtlichkeit durchflutete mich. Ich schüttelte heftig den Kopf. Solche Gedanken durfte ich nicht

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