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Die Prophezeiung der Nonne: Roman (German Edition)

Die Prophezeiung der Nonne: Roman (German Edition)

Titel: Die Prophezeiung der Nonne: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Bilyeau
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William Mote mit so viel Leidenschaft, wie ihm gegeben war, die Geschichte von der Geburt des Messias erzählte. Wir waren jetzt nicht mehr dazu verbannt, uns abseits in der Votivkapelle mit den weitschweifigen Predigten des zerstreuten alten Pater Anthony abspeisen zu lassen. Während meiner Abwesenheit hatte Pater William den ehemaligen Angehörigen des Klosters gestattet, sich in die größere Gemeinde einzugliedern. Es wäre ein Segen gewesen, wäre nur die Kette nicht gewesen.
    Pater William stand direkt neben ihr – einer langen, schweren Kette, mit der die auf einem Lesepult ruhende englische Bibelübersetzung von Myles Coverdale, die sogenannte Große Bibel, am Altar befestigt war. Vor zwei Sonntagen hatte Pater William uns allen verkündet: »Lord Cromwell hat mir ans Herz gelegt, euch freundlich und milde zu ermahnen, selbst in dieser Bibel zu lesen – der König möchte, dass ihr euch ihr ernst und gesittet nähert.« Die Leute hatten verwunderte Blicke getauscht. Nicht ein Mann unter sieben in Dartford konnte lesen, bei den Frauen war die Zahl noch weit geringer. Und daran würde sich auch in naher Zukunft kaum etwas ändern, da die Klöster, von alters her Mittelpunkte von Erziehung und Bildung, samt und sonders aufgelöst waren. Die Reichen konnten sich Privatlehrer für ihre Kinder leisten. Für die Angehörigen des niederen Adels und die Kaufleute jedoch gab es keinen Ort mehr, wo ihre Söhne und Töchter lesen und schreiben lernen konnten.
    Der Einzige unter den Gemeindemitgliedern, der sich ernsthaft mit dem Studium der Großen Bibel befasste, war Bruder Edmund. »Ich werde mich nicht durch Fehlinterpretation verführen lassen«, versicherte er Schwester Eleanor, die ihn bat, sich nicht in Gefahr zu bringen. Fehlerhafte Übersetzung, die zu Glaubensirrtümern führte, war das, was wir Katholiken fürchteten. Nach einigen Tagen aufmerksamer Lektüre stellte Bruder Edmund fest: »Coverdale hat seine Sache recht ordentlich gemacht – er war ja auch Augustiner.«
    Mich störte nicht das Buch, sondern die Kette. Jedes Mal wenn mein Blick auf sie fiel, hatte ich das Gefühl, nach London zurückgezerrt zu werden, an den Hof, in den Tower und zum Schafott König Heinrichs VIII. Während ich Pater Williams Predigt lauschte, legte ich beide Hände um meinen Hals und schloss die Augen.
    Nach der Messe nahm Bruder Edmund mich beiseite. »Schwester Joanna, könntet Ihr mir für kurze Zeit im Hospital helfen?«
    »Natürlich.«
    Arthur ging vergnügt mit Schwester Winifred nach Hause, während Bruder Edmund und ich die Kirche gemeinsam verließen. Niemand nahm es zur Kenntnis – nicht einmal Geoffrey Scovill; er widmete seine ganze Aufmerksamkeit Schwester Beatrice, mit der er in einer der hinteren Reihen saß. Sie waren jetzt ständig zusammen. Geoffrey hatte seit dem Morgen auf dem Markt kein Wort mehr mit mir gesprochen. Ich hatte beschlossen, nichts zu unternehmen, um den Bruch zu kitten, auch wenn es mir wehtat. Geoffrey Scovill war ohne Joanna Stafford besser dran.
    Bruder Edmunds kleines Hospital, sauber und wohlversehen mit heilenden Tinkturen, Pillen, Salben und Kräutern, war leer. Während Bruder Edmund Feuer machte, ging mir der Gedanke durch den Kopf, dass wohl am Weihnachtstag kaum jemand aus dem Ort den Apothecarius brauchen oder er meine Hilfe benötigen würde.
    »Schwester Joanna, ich muss etwas Wichtiges mit Euch besprechen. Es muss unbedingt unter uns bleiben.« Er wies auf die Hocker, die vor seinem Arbeitstisch aus Eiche standen.
    »Natürlich.« Mein Herz klopfte schneller. Ich wollte Bruder Edmund so gern wichtig sein.
    Er zog seinen Hocker näher zu mir heran. So nahe war ich ihm seit dem Abend im Kalefaktorium von Blackfriars nicht mehr gewesen.
    »Habt Ihr das Gefühl, dass Ihr verfolgt werdet?«, fragte Bruder Edmund.
    Ich fuhr erstaunt ein wenig zurück. »Was meint Ihr damit?«
    Er fuhr mit den Fingern durch sein aschblondes Haar. »Ich habe den Eindruck, dass jemand mich beobachtet. Ich bemerke einen Schatten in einer Türnische, und wenn ich mich umdrehe, ist er weg. Es kann natürlich irgendjemand sein, nicht unbedingt jemand, der mich verfolgt. Beim letzten Mal, als ich die Schritte hörte, habe ich mich zwischen zwei Häusern versteckt und gewartet. Lange Zeit zeigte sich kein Mensch, und dann kam der Metzger mit seinem Sohn.«
    Ich starrte Bruder Edmund an, während ich versuchte, mir klarzumachen, was er da sagte.
    »Seid Ihr absolut sicher, dass niemand Euch

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